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Die Suche nach dem fünften Schlauchboot

■ Frankreich vor den Kadi? / Anti-Atomproteste allerorten Vorsichtiges Abtasten beim deutsch-französischen Gipfel

Wellington/Mururoa/Straßburg (AFP/dpa/taz) – Neuseeland will die geplante Wiederaufnahme der französischen Atomtests vor den Internationalen Gerichtshof bringen. Der neuseeländische Generalstaatsanwalt Paul East kündigte gestern in Wellington an, daß die Möglichkeiten dazu geprüft würden. Unklar ist, ob sich der Gerichtshof in Den Haag ohne Zustimmung Frankreichs mit dem Thema beschäftigen kann.

Die französische Armee gab unterdessen erstmals zu, daß Mitglieder von Greenpeace auf dem Mururoa-Atoll möglicherweise unbeobachtet an Land gegangen sind. Die Lagune um das Atomtestgelände und auch das Atoll selbst würden nach einem weiteren Schlauchboot durchkämmt. Nach Greenpeace-Angaben hatten sich drei Mitglieder der Umweltschutzgruppe unter Führung von Greenpeace-Gründer David McTaggart unbemerkt absetzen können, als die französische Marine am Sonntag die „Rainbow Warrior II“ vor dem Mururoa-Atoll enterte. Dabei wurden vier Schlauchboote aufgebracht, von einem fünften fehlt jedoch jede Spur.

Zwei Tage vor dem französischen Nationalfeiertag am 14. Juli gingen die Proteste weltweit weiter. Eine Gruppe von 25 Abgeordneten aus Neuseeland und Australien kündigte an, Anfang September zu einer eigenen Protestreise zum Mururoa-Atoll starten zu wollen. Zu der Zeit ist der erste Atomtest geplant.

Australische Atomtestgegner wollen in einer Anzeigenkampagne in französischen Tageszeitungen Druck auf Präsident Jacques Chirac machen, die Entscheidung zurückzunehmen. Die Aktion steht unter dem Motto: „Startet eine neue französische Revolution – gebt Chirac einen Stoß.“

Auch in Europa wuchs die Kritik. Italiens Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro verurteilte die Entscheidung seines Pariser Kollegen entschieden. „Kein Mensch hat das Recht, für künftige Generationen zu entscheiden“, sagte er bei einem Treffen mit Greenpeace-Mitgliedern in Rom. Greenpeace Italien forderte gemeinsam mit zwei anderen Umweltschutzgruppen dazu auf, französische Staatsunternehmen wie Renault oder die Air France zu boykottieren. Österreichs Sozialdemokraten brachten eine Resolution ins Parlament ein, in der ein endgültiger Teststopp gefordert wird.

Auf dem deutsch-französischen Gipfeltreffen fand Jacques Chirac am Dienstag abend sein festgeschraubtes Lächeln wieder, als er den Journalisten kundtat, daß ihn der deutsche Kanzler über „die Erregung eines Teils der öffentlichen Meinung in Deutschland informiert und eine Erklärung“ zur Wiederaufnahme der Atomtests verlangt habe. Helmut Kohl erklärte dann noch, daß er dem französischen Staatspräsidenten „unsere Sicht der Dinge“ nahegelegt habe, aber daß es sich um eine souveräne Entscheidung Frankreichs handele. Wichtig sei nur, daß Chirac im nächsten Jahr das endgültige Teststoppabkommen unterzeichne.

Damit war die sichtlich einstudierte Pflichtübung absolviert, die Atomtests spielten auf dem 65. deutsch-französischen Gipfeltreffen keine weitere Rolle. Der französische Präsident hält trotz aller Proteste an seiner Entscheidung fest und Kohl ist das alles nicht wichtig genug, um ernsthaft darüber zu reden.

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