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Millionen ohne Wasser

Eine Flutwelle aus Abwässern schwappt vom ukrainischen Charkow den Donez hinab /Behörden empfehlen Evakuierung  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Nach heftigen Regenfällen ist die Wasserversorgung der 1,6-Millionen-Stadt Charkow im Osten der Ukraine zusammengebrochen. Täglich strömen an die 200.000 Kubikmeter ungeklärter Abwässer in den Fluß Lopan, der die Stadt mit Trinkwasser versorgt. Die lokale Verwaltung riet ihren Bürgern jetzt, wenn möglich, die Stadt zu verlassen. Die Regengüsse setzten auch zwei Pumpwerke außer Betrieb – nach anderen Angaben funktionieren gar nur drei von neun Stationen. Drei Stunden am Tag erhalten die Bewohner Wasser aus der Leitung, ansonsten werden sie durch Tank- und eilig rekrutierte Milchwagen versorgt.

Schon seit Ende Juni läuft die Brühe durch ein Leck in der Kläranlage in den Fluß. Erst am Freitag stoppten die Stadtväter die großen Fabriken, um Mitnahmeeffekte zu begrenzen: Entlang des Flußlaufes Richtung Rußland nahm die Schadstoffkonzentration zu statt ab, weil die Betriebe des ostukrainischen Industriereviers sich bei der Gelegenheit diverser Altlasten entledigten.

Gelangt das Abwasser über Donez und Don ins Asowsche Meer, ist diese dicht besiedelte Region wieder um eine ökologische Katastrophe reicher. Wieviel Zeit die Reparaturarbeiten am Drainagesystem in Anspruch nehmen, ist unklar. Experten rechnen jedoch mit mehr als zwei Wochen, für deren Dauer voraussichtlich die gesamte Wasserversorgung eingestellt werden muß.

Boris Richar aus der Sanitärabteilung des örtlichen Krankenhauses bleibt ruhig: „Von einer Evakuierung kann keine Rede sein. Die Verwaltung gab lediglich eine Empfehlung.“ Ernsthafte Infektionen seien bisher nicht registriert worden. Allerdings erwartet man in den nächsten Tagen einen starken Anstieg an Darmerkrankungen. Kindergärten und Schulen wurden geschlossen.

Trotz der Entwarnung rechnet das ukrainische Gesundheitsministerium nach der Inkubationszeit von ein bis anderthalb Monaten mit einem steilen Anstieg von Hepatitiserkrankungen, Ruhr und Salmonelleninfektionen. Von der Verseuchung sind auch die Region Lugansk und das Kohlegebiet um Donezk bedroht. Das Flüßchen Lopan fließt in den Sewerskij Donez, der wiederum in den Don mündet. Im russischen Rostow am Don fürchtet man schon die heranströmende Pestbrühe. Angeblich arbeiten beide Seiten zusammen, um die Abwässer vorher auf unkultivierte Felder zu leiten. Die Gefahr besteht, daß der umgelenkte Dreck in das Grundwasser sickert und es auf Jahre hin verseucht. Somit sei eigentlich nichts gewonnen, wie ein leitender Bürokrat in Kiew freimütig einräumte.

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