: Zwei Welten im Prozeßbunker
Bundesanwaltschaft und die Familie Genç hegen „nicht den leisesten Zweifel“ an der Schuld der vier Angeklagten im Solinger Mordprozeß. Die Verteidiger halten drei von ihnen für unschuldig ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs
Zwei Töchter, eine Nichte und zwei Enkeltöchter haben die Eheleute Mevlüde und Durmus Genç aus Solingen in der Brandnacht auf grausamste Weise verloren. Und der Sohn Bekir wird sein Leben lang unter den Schmerzen und den Brandnarben leiden. Nach über 100 Verhandlungstagen neigt sich der Prozeß vor dem Düsseldorfer Landgericht seinem Ende zu. In ruhiger Tonlage zog Durmus Genç als Nebenkläger seine Bilanz: „Nach der langen Beweisaufnahme sind wir überzeugt, daß die Verbrecher, die uns dieses Leid angetan und unser Leben zerstört haben, auf der Anklagebank sitzen.“
An der Seite des Genç' steht ein bekannter Kölner Anwalt: Reinhard Schön. Mit scharfer Zunge hat er in den vergangenen Monaten agiert. Auch er hegt „nicht den geringsten Zweifel“ daran, daß die Angeklagten schuldig sind. Wie die Karlsruher Bundesanwälte Dirk Fernholz und Thomas Beck, kamen auch Schön und sein Kanzleikollege Eberhard Reinecke gestern in ihrem mehrstündigen Plädoyer zu dem Ergebnis, daß alle vier Angeklagten rechtsradikalem, rassistischem Gedankengut anhingen und die Tat aus fanatischem Ausländerhaß heraus begangen haben.
Von Schön und den Anklägern nur wenige Meter getrennt sitzt Volker Götz. Er verteidigt gemeinsam mit Georg Greeven den Angeklagten Felix K., zur Tatzeit gerade 16 Jahre alt. Der Name Götz weckt Erinnerungen an die Zeit der Berufsverbote in den 70er Jahren. Damals wurde ihm der Weg zum Richteramt verwehrt, weil er aktives Mitglied in der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) war. Schön und Götz kommen beide aus der linken Szene, ihre Positionen im Prozeß jedoch sind denkbar unterschiedlich.
Während Schön auf der Anklagebank die wahren Täter wähnt, glaubt Götz an die Unschuld von Felix K., Christian B. und dem zur Tatzeit bereits erwachsenen Angeklagten, Markus Gartmann. Die Plädoyers der Verteidiger werden nach der Sommerpause beginnen, aber daß Götz und seine Verteidigerkollegen Freisprüche fordern werden, ist zu erwarten. Seit Prozeßbeginn verfolgen sie dieses Ziel.
Daß auch am Ende der Beweisaufnahme, nach 112 Prozeßtagen und der Anhörung von 270 Zeugen, die beiden Welten von Götz und Schön so unvermindert scharf aufeinanderprallen, hängt damit zusammen, daß die gesamte Anklage wesentlich auf dem Geständnis des Angeklagten Gartmann fußt. Auch die Bundesanwaltschaft zählt dessen Geständnis, das er am 80. Verhandlungstag widerrief, zu dem „zentralen Beweismittel“ des Verfahrens. Sachbeweise, Fuß- oder Fingerabdrücke, die direkt auf die Angeklagten als Täter hinwiesen, gibt es nicht.
Sicher ist, alle vier Angeklagten hingen zeitweise rechtsradikalen und ausländerfeindlichen Auffassungen an. Im Zimmer von Christian R., der als Kind eine desolate „Heimkarriere“ durchlief und der im Umfeld seiner Mutter auf rechtsradikal eingestellte Männer traf, hing die Hakenkreuzfahne neben der durchgestrichenen türkischen Fahne. Wie ein Schwamm hat er die rechte Soße aufgesogen. Die anderen drei, die zeitweise kahlgeschoren, mit Doc-Martens- Schuhen und Bomberjacken durch Solingen liefen, ließen sich von rechtsextremistischen Skin-Head- Bands wie „Störkraft“ inspirieren. Das sogenannte Türkenlied der damals noch rechten Band „Böhse Onkelz“, kannte der Arztsohn Felix K. auswendig. In seinem Computer war der Text gespeichert. Mit seinen in antirassistischen Initiativen engagierten linken Eltern – der Vater zählte einst wie Schön und und Götz zum linken studentischen Hochschulmilieu – kam er lange Zeit nicht klar. „Linke Spießer“ nannte er sie. Der zeitweise geständige Markus Gartmann war Mitglied der „Deutschen Volksunion“ und Leser der Nationalzeitung. Auch Christian B., der in seinem Tagebuch, von dem „kanakenfreien“ Freitagstraining in der rechten Kampfsportschule Hak- Poo schwärmte, befand sich auf dem ausländerfeindlichen Haß- Trip.
Es gibt Hinweise dafür, daß Felix K. schon vor dem Anschlag dabei war, sich von seiner aggressiven Ausländerfeindlichkeit zu lösen. Wirklich überzeugende Beweise für einen nachhaltigen Sinneswandel und eine Abkehr von der rechte Clique erbrachte die Hauptverhandlung indes weder bei ihm noch bei seinen drei Mitangeklagten.
Die Verteidiger von K. und B. haben seit Prozeßbeginn versucht nachzuweisen, daß ihre Mandanten zur Tatzeit gar nicht am Tatort hätten sein können. Überzeugend waren diese Versuche nicht. Im Gegenteil, nimmt man alle Zeugenaussagen zu diesem Komplex zusammen, dann spricht sehr viel dafür, daß Rainer Brüssow, der Anwalt der Eheleute Genç, mit seiner Einschätzung richtig liegt, „daß alle Angeklagten zur Tatzeit am Tatort sein konnten“. Auch der in Aussicht gestellte „naturwissenschaftliche Beweis“ dafür, daß der Brand früher als von der Bundesanwaltschaft unterstellt gelegt worden sein müsse, blieb aus. Rechtsanwalt Reinecke hat gestern darüberhinaus auf überzeugende Weise dargelegt, daß das Brandbild entgegen der Behauptungen der Verteidiger und des von ihnen benannten Sachverständigen Achilles „eindeutig“ den Einsatz eines Brandbeschleunigers belegt. Die letzte von gut 20 Tatversionen des Angeklagten Christian R., er habe das Haus als Alleintäter lediglich mit ein paar Zeitungen in Brand gesetzt, widerspricht diesem Brandbild.
Zu welchem Urteil das Gericht kommen wird, hängt nicht zuletzt wesentlich davon ab, ob die Richter das Gartmann-Geständnis als glaubwürdig erachten. Folgte der Senat hier der Argumentation der Ankläger, bliebe nur die Verurteilung aller vier Angeklagten. Gelänge es den Verteidigern allerdings mit ihren Plädoyers, zwei Richter des fünfköpfigen Senats auf ihre Seite zu ziehen, wäre die zur Verurteilung notwendige Zweidrittelmehrheit dahin und der Freispruch für mindestens drei Angeklagte stünde an. Spätestens für den Oktober wird das Urteil erwartet.
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