: Im dritten Akt ein Schuß
Ein Gespenst geht um im Algonquin – Über Alan Rudolphs „Mrs. Parker und ihr lasterhafter Kreis“ schwebt der Geist Hemingways. Jennifer Jason Leigh als bittere Giftnatter. ■ Von Anja Seeliger
Dorothy Parker war 23, als sie anfing, für die amerikanische Vogue und kurze Zeit später für Vanity Fair zu arbeiten. Zehn Jahre später war sie New Yorks berühmteste Schriftstellerin, eine für ihren scharfen Witz berüchtigte Theaterkritikerin und Mitglied des Algonquin tables. Die Legende besagt, daß diese exklusive Runde mit Ausnahme von Mrs. Parker aus einer Riege zweitklassiger Schriftsteller bestand, die eigentlich nur dadurch bekannt wurden, daß sie sich zehn Jahre lang täglich in einem Hotel in der 44. Straße in Manhattan zum Mittagessen trafen. Diese Leute waren berühmt für ihren Witz, ihre geistreichen Kritiken und ihr aufregendes promiskes Leben – das Beste, was New York in den 20er Jahren zu bieten hatte. Die Hauptrolle spielt ein Gespenst, dessen Name nicht ein einziges Mal ausgesprochen wird und das den Film von Anfang an überschattet.
Theaterkritiker unter sich: „Was siehst du heute abend?“ „Ein Theaterstück von Ibsen. Es würde dir gefallen, Schatz, im dritten Akt fällt ein Schuß.“ Ibsen dürfte das nicht mehr viel ausgemacht haben, aber bei Vanity Fair ist man nicht lange gewillt, Mrs. Parkers verantwortungslosen Witz zu tolerieren. Sie wird gefeuert, und ihr Kollege Robert Benchley kündigt aus Solidarität gleich mit.
Mit spitzen Fingern führt Rudolph die schäumende Runde im Algonquin vor: Man brilliert, reißt anzügliche Witze, und dazwischen sieht man immer wieder Dorothys blasses, verheultes Gesicht. Nach dem achten Anlauf gibt Benchley es auf, den Anwesenden von seiner und Parkers Entlassung zu berichten. Er müßte ihnen schon mit einem Hammer auf den Kopf hauen, um das Geschnatter für zwei Sekunden zu unterbrechen. Und doch haftet der Runde zu dieser Zeit noch eine verwegene Fröhlichkeit an, die Rudolph in der nächsten Stunde auf endlosen Partys in Zynismus ersaufen läßt – „Guter Gott, Rob, du siehst zerquält genug aus, um eine Kolumne rauszuhauen“ –, und schließlich taucht sie auf, die Spukgestalt, deren Name nie genannt wird. Albernerweise ist sie als ein Psychiater verkleidet. „Es ist eine sonderbare Bande, die die Tische der Rotonde besetzt hält, und sie führt sich sonderbar auf. Sie haben alle so hart um Nonchalance und wirklich individuelle Aufmachung gerungen, daß sie die Exzentrität zu einer Art Uniform gemacht haben... “, schrieb Hemingway 1922 in einem Zeitungsartikel über die amerikanische Boheme in Paris, und ähnlich drückt es der Psychiater aus, dem Dorothy auf einer Party begegnet: Würdet ihr nicht so viel trinken und herumvögeln, könntet ihr vielleicht echte Künstler werden. Pardon, aber das ist ausgemachter Blödsinn.
Diese Leute waren nicht in erster Linie Schriftsteller, sondern Journalisten. Mag sein, daß Harold Ross beschwipst war, als ihm die Idee zum New Yorker kam. Aber um Amerikas größte Intellektuellenzeitschrift zu gründen und erfolgreich über die Jahre zu bringen, mußte er wohl notgedrungen gelegentlich das Ginglas aus der Hand geben. Alexander Woollcotts Radioshow „The Town Crier“ machte moderne Literatur in ganz Amerika bekannt, Robert E. Sherwood erhielt den Pulitzerpreis für seine Roosevelt-Biographie, George S. Kaufmann schrieb die Drehbücher für drei Filme der Marx-Brothers, usw. Als Künstler haben sie sich nicht „durchgesetzt“, aber was heißt das schon? Teufel auch, alle zusammengenommen haben wahrscheinlich weniger Lügen verbreitet als Hemingway in einem seiner Bücher.
Später gingen sie alle nach Hollywood. In der ersten Einstellung sehen wir Mrs. Parker 1937 in geblümten Kleid in Hollywood herumsitzen. Auf ihrem Schoß lagert ein Pudel, während sie mit Stricknadeln hantiert und nur gelegentlich müde die Lider hebt, um einen Studioangestellten mit einer spitzen Bemerkung zu erstechen. Da ist sie 44 und hat noch gute 30 Jahre vor sich. Wenn man die Drehbücher außer acht läßt („Little Foxes“ oder „A Star is born“), sollte sie außer einem Theaterstück und vier Kurzgeschichten nichts Nennenswertes mehr schreiben.
Die bittere Wahrheit ist, daß Parker in der Liebe geradezu manisch das Unheil suchte. Wenn sie betrunken war, hatte sie eine Neigung zum Lamentieren und beschrieb auf das unerfreulichste und im Detail den Fötus nach ihrer Abtreibung. Rudolph erzählt notgedrungen nur einen kleinen Ausschnitt aus diesem Desaster, und obwohl alles daran wahr ist, erscheint es mir falsch. Die meiste Zeit sieht man Parker mit mürrischem Gesicht vor sich hin leiden. Vielleicht war es so, aber sie unternahm insgesamt fünf Selbstmordversuche und schaffte es, mit 74 Jahren an einem Herzinfarkt zu sterben. Woraus auch immer sich diese Zähigkeit speiste, hier erfahren Sie es nicht.
Alan Rudolph: „Mrs. Parker und ihr lasterhafter Kreis“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen