piwik no script img

Die entspannte Neo-Feministin

Was Medien in den USA als zweite feministische Revolution präsentieren, ist ein konservativer Angriff gegen die Frauenbewegung  ■ Von Susan Faludi

Lifestyle-Magazine und Talkshows haben die Geburt einer neuen Welle des Feminismus verkündet. Es ist „wie eine zweite Revolution in der Frauenbewegung“, schwärmt die Washingtoner Times und belegt diesen Trend mit neuen „feministischen Organisationen“, wie dem „Women's Freedom Network“ und dem „Network for Empowering Women“ (NEW). Außerdem gebe es inspirierende feministische Schriften wie „Wer hat den Feminismus gestohlen“ und junge feministische Stimmen, wie die von Katie Roiphe. Daß Feministinnen die neue Verstärkung nicht mit offenen Armen aufnehmen, muß Eifersucht sein oder schwesterliche Rivalität.

Aber Neid der großen Schwestern ist nicht das Problem. Was hier gefeiert wird, ist keine natürliche Geburt einer Bewegung. Richtiger wäre es, dieses Drama als die Invasion der Frauenbewegung zu bezeichnen – den Versuch, sie mit Scheinfeministinnen aufzufüllen. Gruppen wie NEW haben nicht mehr als eine dreistellige Zahl von Mitgliedern. Diese Handvoll „Feministinnen“ bezeichnen sich zwar als Dissidentinnen innerhalb der feministischen Bewegung, aber sie haben vorher niemals zu den Feministinnen gehört, sondern haben sich bei konservativen akademischen Treffen kennengelernt. Sie definieren sich als die Vertreterinnen der „Durchschnittsfrau“, aber ihr Widerstand gegen Sozialhilfe für Frauen mit Kindern verrät einen Mangel an Anteilnahme gegenüber Frauen, die nicht in das enge Konzept ihrer „Durchschnittsfrau“ passen. Sie definieren sich als Feministinnen, aber ihre abweisende bis feindliche Haltung gegenüber feministischen Anliegen wie sexueller Belästigung, häuslicher Gewalt, Vergewaltigungen, gleichem Lohn, Kinderversorgung oder Sozialhilfe plaziert sie eindeutig auf der antifeministischen Seite.

Risikoloser Feminismus für eine ängstliche Zeit

Aber ihr Schlachtruf – oder besser ihr Ruf nach Abrüstung – zieht manche Frauen an, weil er die Botschaft des Sieges und Erfolges verkündet. Christina Hoff-Sommers, Autorin von „Wer hat den Feminismus gestohlen?“ und ihre Scheinschwestern behaupten, daß die Gleichberechtigung genügend weit fortgeschritten sei, und daß jetzt die Zeit der „Versöhnung“ mit den Männern angebrochen sei. Das „Women's Freedom Network“ meint dazu: „Die Rollen von Frauen und Männern sollten sich natürlich entwickeln dürfen“ – das heißt ohne politischen Druck in die feministische Richtung.

Nun weiß jede Erstsemester- Studentin, daß sich die Geschlechterrollen ohne politischen Druck „natürlicherweise“ überhaupt nicht weiterentwickeln. Aber ihre Argumentation ist betörend, denn erstens ist sie positiv und außerdem ist sie nicht bedrohlich. NEW ermutigt Frauen nicht, sich für gesellschaftliche Veränderungen einzusetzen und schon gar nicht verlangt sie von Männern, sich zu ändern. Es ist ein risikoloser Feminismus für eine ängstliche Zeit: Betone deine Leistungen, sei nett zu den Männern und laß den Tag Tag sein. Die Macht des positiven Denkens wird den Rest schon richten.

Genauso wie die Republikaner versuchten, die Botschaft der liberalen Demokraten auszuhöhlen, indem sie sie durch Präsident Bushs „freundliche und sanfte“ Scheinwelt zu ersetzen versuchten, wollen nun die GegnerInnen der Frauenbewegung die feministische Botschaft von Schwesterlichkeit und Frauenrechten durch die pseudofeministischen Schlagworte „empowerment“ und „Versöhnung“ verdrängen. Bis Mitte der 80er Jahre setzten die Medien alte Hetzer gegen den Feminismus wie Norman Mailer ein. In den späten 80er Jahren tauchte die junge studierte Frau auf, die eifrig sagte: „Ich bin keine Feministin, aber ...“ Zum Beispiel: „Ich bin keine Feministin, aber natürlich möchte ich gleichen Lohn, gleiche Rechte und volle sexuelle Selbstbestimmung.“ Sie erschien als ideale Schlechtmacherin der Frauenbewegung, weil sie politisch neutral war, Jede-Frau repräsentierte, oder vielmehr Jede-Weiße-Mittelklasse-Studierte- Frau. Aber diese Frau, die sich aus dem Kampf für Frauenrechte völlig heraushielt, war längst nicht so köstlich wie das aktuellste Modell der Denunziantinnen: eine Frau, die sich tatsächlich selbst Feministin nennt.

In den 90ern ist eine Handvoll Frauen in diese Rolle geschlüpft. Ihr Slogan ist: „Ich bin eine Feministin, aber ...“ zum Beispiel in der Version: „Ich bin Feministin, aber ich glaube nicht, daß Frauen heutzutage noch diskriminiert werden. Ich sehe keinen Grund für Frauen, sich politisch zu engagieren, ich glaube nicht, daß Lohndiskriminierung, sexuelle Belästigung, Vergewaltigung, häusliche Gewalt oder die anderen feministischen Themen wirkliche Probleme sind. Ich sehe nicht, daß wir uns weiter mit Geschlechtsanalysen belasten sollten.“

NEW vertritt die Auffassung, daß die dringendsten Anliegen von Frauen nicht ökonomische oder politische Fortschritte sind, sondern sie sich mit den armen, vom Feminismus gebeutelten Männern zusammentun sollten. Das ist sogar der Slogan auf NEW's Visitenkarten. Und eine der anderen „neuen feministischen Organisationen“ hat einen Namensführer für die Medien produziert, auf denen mehrere hundert Frauen aufgelistet sind, die bereit sind, in Talkshows gegen die „alten Feministinnen“ aufzutreten. Eigentlich sollten sie den Slogan wählen: „Ich bin keine Feministin, aber ich spiele eine im Fernsehen.“

Die Mutter aller Scheinfeministinnen ist die antifeministische Feministin Camille Paglia, deren neuestes Buch „Vamps and Tramps“ einen ausführlichen und ermüdenden Blick in ihre vielen Medienauftritte gewährt. Sie unterscheidet sich von den antifeministischen Feministinnen, die in ihrem Kielwasser schwimmen, insofern, als sie eher eine Aufmerksamkeit heischende Generatorin effektvoller Schlagworte ist als eine Konservative im feministischen Kostüm. Sie spielt und verwirft soviele Rollen, daß es schwer ist zu sagen, ob hinter den vielen Masken überhaupt irgendeine Person mit einer politischen Auffassung existiert.

Die Medienstars der 90er Jahre haben nicht Camille Paglias Grips, aber sie haben ihre Taktik übernommen, sich als „Feministin, aber ...“ zu bezeichnen. Und ihre Strategie, sich „feministische Exzesse“ herauszupicken, ist durchaus erfolgreich. Denn es gibt einige Feministinnen (besonders in den Universitäten) die meinen, daß alle Männer Idioten sind, oder die dir an die Gurgel springen, wenn du irgendeinen Ausdruck außerhalb der p.c.-Ebene benutzt, oder die in den Frauen-Studien-Seminaren quälende persönliche Geschichten „teilen“ wollen. Dort ist genausoviel Psychogeschwätz und Nabel-Schau zu finden, wie auf einem Kongreß der ähem, Scheinfeministinnen, der letzten September stattfand. Er hieß „Internationale Konferenz zur Versöhnung der Geschlechter“ und bot Kurse über „Weibliche Wunden“ und „Heilende Brüche“ an. Die übereifrigen Äußerungen einiger weniger sind zu grundlegenden Eigenschaften der Frauenbewegung verdreht worden. Und wenn die Scheinfeministinnen dieses Verhalten in Verruf bringen, dann glauben ihnen viele, die tatsächlich meinen, daß der Feminismus mit kreischenden Dummköpfen überbevölkert ist. Die Hauptanklagepunkte der Scheinfeministinnen sind: Feministinnen unterdrücken oppositionelle Meinungen; Feministinnen sind jammernde Paranoide, die Frauen am liebsten als hilflose Opfer sehen; Feministinnen verbreiten Mythen über die Unterdrückung von Frauen.

Zu Punkt eins: Es gibt wirklich feministische Aktivistinnen, die Rot sehen, wenn sie in Frage gestellt werden. Diese Sorte wird von den Medien oft mit spitzen Stiefeln gezeigt, mit denen sie eine ihrer Schwestern zermalmt. Was bei diesem Porträt fehlt, ist, daß jede Feministin, die versucht, eine politische Richtung zu diktieren, von einer anderen herausgefordert wird. In feministischen Diskussionen wird heftig gestritten, gerade, wenn es um schwierige Themen geht wie Pornographie, Leihmutterschaft oder die Abtreibungspille. Unterschiedliche Meinungen – und die Bereitschaft, leidenschaftlich darüber zu streiten – sind genau das, was die Stärke der Frauenbewegung ausmacht. Aber die Scheinfeministinnen verlieren sich schnell in ihrer ideologischen Endlosschleife, die ungefähr so geht: Antifeministinnen sagen, daß Feministinnen Meinungen unterdrücken. Eine Feministin sagt, daß das nicht stimmt und schon heißt es, daß sie eine gegensätzliche Meinung unterdrückt.

Zum Anklagepunkt zwei: Feministinnen sind jammernde Paranoide, die Frauen am liebsten als hilflose Opfer sehen. Das beweisen die Pseudofeministinnen zum Beispiel anhand meines eigenen Buches „The Backlash“ (Die Männer schlagen zurück). Angeblich phantasiere ich mir darin eine Verschwörung schnurrbartzwirbelnder Frauenhasser zusammen. Statt dessen verwendet das Buch jede Menge Sorgfalt darauf aufzuzeigen, daß der kulturelle Gegenschlag gegen den Feminismus eben keine Verschwörung ist. Und in den Schlußfolgerungen sage ich, daß Frauen mit Zähnen und Klauen gegen die neuen Bedrohungen ihrer Freiheit kämpfen. Wenn der Feminismus für irgendetwas steht, dann dafür, daß Frauen aufstehen und den Mund aufmachen. Feministinnen benennen den Opferstatus nicht, um darin zu schwelgen, sondern um ihn zu bekämpfen.

Der dritte Vorwurf lautet, daß Themen wie sexuelle Belästigung, Vergewaltigung, mangelndes Selbstwertgefühl von Mädchen nur aufgeblasene Publicity sind. Katie Roiphe behauptet zum Beispiel, daß Vergewaltigungen durch Bekannte selten vorkommen. Das ist falsch. In ihrem Buch zitiert sie einen sogenannten Experten, der keine einzige Untersuchung über Vergewaltigungen gemacht hat, dafür aber durch seinen Einsatz gegen feministische Gesetzgebung bekannt geworden ist. Roiphe ignoriert die vielen feministischen und nicht-feministischen Studien, die herausgefunden haben, daß eine von vier Frauen, oder eine von zwölf Frauen, einmal in ihrem Leben eine Vergewaltigung oder eine versuchte Vergewaltigung erlebt hat. Aber Roiphe sieht sich diese Statistiken nie an, interviewt keine der WissenschaftlerInnen und hat nicht mit einer einzigen Frau geredet, die vergewaltigt wurde.

Die Historikerin Nancy Cott beschreibt in ihrem Buch „Die Grundlagen des modernen Feminismus“, wie eine Gruppe von Schriftstellerinnen eine Zeitschrift herausgab, in denen sich Worte finden, die genau wie die Position der „Women's Freedom Network“ klingen: „Wir interessieren uns für Menschen, nicht für Männer und Frauen.“ Diese Schriftstellerinnen hatten auch einen Namen für ihre neue Haltung: postfeministisch. Das war 1919.

Daß Frauen bereits gleichberechtigt sind, beweisen die Postfeministinnen der 90er Jahre anhand von Frauen, die Ärztinnen oder Juristinnen sind. Die unattraktiven Berufe, in denen die Mehrheit der Frauen arbeitet, lassen sie einfach aus. Vielleicht ist das keine böse Absicht, sondern einfach Blindheit. Aber genau diese Unfähigkeit der „Feministinnen, aber ...“ ist der Hauptgrund dafür, daß sie keine Feministinnen sind. Sie sind unfähig, sich mit anderen Frauen zu identifizieren, den gefühlsmäßigen Sprung über die eigenen Grenzen zu machen, der zu einer schwesterlichen Einstellung führt. Sie runzeln die Stirn über feministische politische Leidenschaft. Sie regen sich nicht auf, sind überlegen und cool, genauso wie die Medien sich das wünschen.

Die Heldin in dem Buch „Invasion of the Body Snatchers“, sagt über die quasi geklonten Wesen, die die wirklichen StadtbewohnerInnen verdrängen: „Es gibt keine Gefühle. Die Worte sind dieselben, aber sie fühlen nichts.“ Die Pseudofeministinnen sehen, wie sie den Feminismus benutzen können, oder besser den kulturellen Gegenschlag gegen den Feminismus. Sie wollen im Rampenlicht stehen. Es ist bezeichnend, daß die Statuten des „Women's Freedom Network“ keine sozialen Rechte für Frauen verspricht, sondern „die Plazierung von Rednerinnen in Talkshows“.

Feminismus als eine Form des Narzismus

Kurz nach der zweiten Welle der Frauenbewegung Anfang der 70er Jahre, verband die Werbung ihre Produkte mit feministischen Zielen. Frauen sollten einen unabhängigen Lebensstil erreichen können, wenn sie die richtigen Diätgetränke kauften, die richtigen Zigaretten rauchten. Feminismus war einfach eine Form des Narzismus, die in den Einkaufszentren befriedigt werden konnte. Die Scheinfeministinnen der 90er Jahre haben diese Botschaft übernommen. Sie posieren für Fernsehkameras mit ihrer postideologischen Botschaft, daß Frauen es geschafft haben und entspannen können. Auch sie blinzeln in die Kamera und gratulieren sich dafür, daß sie so weit gekommen sind. („You have come a long way, Baby“).

Dieser neue Feminismus ist eine Totgeburt, denn hinter dieser Ideologie steht kein Wunsch nach politischen, sozialen oder ökonomischen Veränderungen. Die Scheinfeministinnen wollen keine bessere Zukunft, sondern daß über sie selbst geredet wird. Egal wie oft sie sich auf den Bildschirmen reproduzieren, sie werden keine Welt schaffen, die größer oder gerechter für ihr Geschlecht ist.

Mit freundlicher Genehmigung des Ms. Magazins

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen