: Farce um den Sommersmog (Teil 100)
Polizisten müssen die Ausnahmeregelungen der Verordnung auch im Kofferraum prüfen Greenpeace: Ozon schädigt Bäume schon bei niedrigeren Werten als die Menschen ■ Von Reiner Metzger
Das Ozongesetz kommt, der Ozonalarm nicht. Und wenn er kommt, passiert erstmal wenig. Der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) sagte im ZDF, daß seine Polizisten „viel Fingerspitzengefühl“ beweisen müßten. Schließlich ist die Liste der Ausnahmen bei einem eventuellen Fahrverbot laut einer Presseerklärung des Bundesumweltministeriums drei Seiten lang. So gehöre laut Beckstein schon mal „der sorgfältige Blick in den Kofferraum“ dazu, um zu prüfen, ob es sich wirklich um eine Fahrt in den Urlaub handelt und nicht einfach eine Spazierfahrt. Außerdem müßte dann noch geprüft werden, ob der Urlaubsort nicht auf andere „zumutbare Weise erreicht werden könnte“, so die Bestimmungen. „Ein ganz unbestimmter Rechtsbegriff“, leuchtet selbst dem treuherzigen Franken Beckstein ein. Das gleiche Problem gibt es bei Berufspendlern und „unaufschiebbaren Fahrten in der Landwirtschaft“. Das „Ende des Flickenteppichs“ bei der Ozongesetzgebung in Deutschland, wie Umweltministerin Angela Merkel ihr Gesetz begrüßte, ist ebenfalls nicht in Sicht.
Auf eine einheitliche Plakette für die Fahrzeuge mit freier Fahrt konnten sich die Länder nämlich nicht einigen. Für Bayern gibt es daher noch „keinen überzeugenden Vollzug, sondern zunächst nur bußgeldfreie Ermahnungen“, sagte Beckstein. Aus dem niedersächsischen Innenministerium verlautete gar, daß die Ausführungsbestimmungen frühestens in einem halben Jahr in Kraft treten können. So lange dauere selbst ein zügiges Verfahren. 1995 wird also nur zu einem Probelauf für das Sommersmog-Gesetz.
Ozon ist laut Greenpeace nicht nur für Menschen gefährlich, sondern schädigt auch den Wald. „Ozon verfärbt die Blätter, und führt zu erhöhter Empfindlichkeit für Spätfröste“, berichtete der Luftexperte von Greenpeace, Karsten Smid. Die Blätter fallen auch früher ab. Nach einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entstehen Schäden schon bei einer durchschnittlichen Konzentration von 65 Mikrogramm. Besonders Laubbäume seien gefährdet, die Eiche müsse in Teilen Süddeutschlands bald auf die rote Liste der bedrohten Arten gesetzt werden.
Gemeinsam mit dem Verein Bergwaldprojekt (BWP) startet Greenpeace an diesem Donnerstag eine Luftmeß-Tour durch den Harz, Schwarzwald und das Allgäu, um auf das Waldsterben durch Ozonsmog aufmerksam zu machen. Bisherige Messungen hätten ergeben, daß im Harz der Wochenmittelwert von Ozon oft über 149 Mikrogramm liege und damit höher als in Ballungsgebieten.
Die Kieler Klimaschutzaktion Nordlicht bittet die BürgerInnen, in diesem Sommer nicht auf die staatlichen Maßnahmen zu bauen. Vielmehr sollen sie ihre Pkw stehen lassen und generell weniger Energie verbrauchen. Nach Angaben des Projekts Klimaschutz an der Uni Kiel sind die bei der Aktion eingesparten Kilometer bis gestern auf 143.600 angestiegen, dreimal um den Globus. In ihren „Sieben Schritten zur neuen Beweglichkeit“ soll sich jedeR pro Monat ein konkretes Einsparziel setzen und dieses zwecks Bilanzierung den Initiatoren in Kiel auf einem Rückmelde-Coupon mitteilen.
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