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Noch zwanzig Siege bis zur Bundesliga

Am Wochenende beginnt die neue Saison für die Berliner Fußballvereine / Pleiten, Pech und Pannen: Wie die Spielzeit 95/96 verläuft, steht heute schon in der taz / Eine Vorschau  ■ Von Andreas Pfahlsberger

Die fußballose Zeit ist vorbei. An diesem Wochenende startet die zweite Bundesliga ebenso wie die Regionalliga in die neue Saison. Wie immer, wenn noch kein Ball gespielt ist, verbreiten die Macher der großen Vereine Optimismus. Die Erwartungen an das sportliche Abschneiden sind hoch, finanziell seien keine Probleme zu erwarten. Wir wissen schon heute, wie die Saison für die Berliner Vereine verlaufen wird.

Berlins einziger Profiverein, Hertha BSC, verfolgt trotz der Belastung von drei Minuspunkten bei Saisonstart (die Strafe für unkorrekte Angaben bei der Lizenzvergabe in der letzten Saison) weiter konsequent den im vorigen Jahr gefaßten Dreijahresplan, der 1997 mit dem Aufstieg in die erste Bundesliga enden soll. Ziel in dieser Spielzeit: vorne mitspielen. Schon nach zehn Spieltagen setzt sich der Traditionsclub allerdings im unteren Tabellendrittel der zweiten Liga fest. Hertha-Präsident Manfred Zemaitat sieht keinerlei Problem: „Ich habe es selbst ausgerechnet, mit der neuen Drei-Punkte-Regelung fehlen uns nur noch zwanzig Siege zum Bundesligaaufstieg.“

Der Vermarktungspartner des Klubs, die Ufa Film- und Fernsehrechte GmbH, bringt unterdessen Franz Beckenbauer als neuen Hertha-Coach ins Gespräch. „Ich stehe bei meinem Freund Jack White im Wort, daß ich nur TeBe unterstütze. Im übrigen lassen mir meine Verpflichtungen keine Zeit für einen weiteren Job“, winkt Kaiser Franz zwischen zwei RTL- Fernsehauftritten ab. Inzwischen ist Hertha zum Abschluß der Hinrunde auf den vorletzten Platz abgerutscht. Zemaitat: „Wir sind voll im Plan.“ Beim Lizenzierungsverfahren im März 1996 stellt der DFB fest, daß klammheimlich der gesamte Verein auf Ex-Präsident Heinz Roloff überschrieben wurde. Daraufhin entzieht der DFB dem Berliner Traditionsklub die Lizenz rückwirkend für die letzten fünf Jahre, Hertha BSC wird am Ende der Saison 95/96 in die Regionalliga verbannt. Dort nimmt Schlagerproduzent Jack White einen neuen Anlauf, um seine Tennis Borussia in den (offiziell) bezahlten Bundesligafußball zu führen. „Ich habe aus meinen Fehlern gelernt“, bekennt er freimütig, „diesmal haben wir nicht das gesamte Team ausgetauscht, sondern nur sieben Ergänzungen vorgenommen.“

Leider ist der Start in die Saison verkorkst, nur vier Siege aus den ersten zehn Begegnungen stehen zu Buche, ein enttäuschender zehnter Platz. Jack White wird daraufhin noch einmal auf dem Transfermarkt aktiv. Frank Mill (37), beim Erstligaaufsteiger Fortuna Düsseldorf ausgemustert, kommt ebenso wie zehn weitere Ex-Profis zum Charlottenburger Verein. „Man muß aus Fehlern lernen können“, verkündet Jack White und verpflichtet in der Winterpause seinen alten Freund Willibert Kremer zum dritten Mal als Trainer. Am Saisonende landet TeBe auf dem vierten Platz. „Wir werden es in der kommenden Saison erneut versuchen“, äußert trotzig der um fünf Millionen Mark erleichterte TeBe-Chef White.

Auch der 1. FC Union hat sich wieder einiges vorgenommen. Dank des finanziellen Engagements des Bauunternehmers Manfred Albrecht konnten die Wuhlheider den Konkurs gerade noch vermeiden und sogar fünf ehemalige Zweitligaspieler verpflichten.

Von Beginn an spielt Union in der Tabellenspitze mit, doch die Gerüchte, der Verein habe mehr als die eingestandenen sieben Millionen Mark Schulden, wollen nicht verstummen. Das Team zeigt sich dadurch allerdings kaum verunsichert, regelmäßig werden die wegen zwei Platzverweisen mit neun Spielern zu Ende gebrachten Partien gewonnen. Kapitän Frank Placzek, bei allen der fünf vergeblichen Aufsteigsversuchen dabei: „Diesmal packen wir es, soviel Pech kann es gar nicht geben.“ Pech, daß schon kurz darauf an die Öffentlichkeit dringt, der Verein habe mehr als die offiziell zugegebenen neun Millionen Mark Schulden. Im April 1996 flieht Sponsor Albrecht, der sich mit dem Bau eines 300-Millionen-Einkaufszentrums in Köpenick übernommen hat, nach Florida. Vier Spieltage vor Saisonende, Union belegt souverän Platz Eins der Tabelle, muß der Verein mit 12 Millionen Mark Schulden Konkurs anmelden. Auch der Bittbrief von Fußballfreund Eberhard Diepgen an die Gläubiger kann nicht mehr helfen.

So wird es kommen, und deshalb muß auch niemand an den Wochenenden das trübe Schauspiel in den Stadien verfolgen – aber wer tut das schon in Berlin.

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