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Wand und BodenFortsetzung des Kinderzimmers. Besucherschule

■ Kunst in Berlin jetzt: Ull Hohn, Christian Thomas, Thomas Locher, Susanne Paesler

Wo immer die Reserven der Malerei nach Postexpressionismus, Neo-Geo und Concept-art liegen, sie werden derzeit reichlich geplündert. Ull Hohn bedient sich bei monochromen Feldchenmalern oder dem verwischten Realismus von Gerhard Richter, und es funktioniert. In der Potsdamer Galerie Mittelstraße 18 hat der 1961 geborene Hohn für „off the wall“ (eine Reihe aus 14 Gemälden) eine Wand versetzt in den Raum bauen lassen, so daß die Bilder dem Besucher scheinbar leicht entgegenkommen.

Der „White Cube“ als neutraler Ausstellungsort und reinlich weiße Fläche wird zur Grundkonstante, auf der sich die von Hohn ausgewählten Sujets – fleischfarben und schlierenhaft überzogene Quadrate neben orange verschwommenen Abbildungen eines masturbierenden Mannes – unregelmäßig abwechseln. Die Wand, die diese beiden Gruppen zusammenhält, wird als Träger zum ebenbürtigen Bild, die einzelnen Exponate erscheinen in der Hängung fast wie Manövriermasse der Repräsentation. So windet sich die Malerei im eigenen Diskurs, springt zwischen moderner Gegenstandslosigkeit und schwulem Genrebild hin und her, bleibt aber im Rahmen einer Geschichte, in der das Geistige wie das Sexuelle in der Kunst gleichwertig nebeneinander bestehen können – ob im Konflikt oder harmonisch, sei dahingestellt. Der Ausstellungstitel läßt sich je nach Zielgruppe interpretieren. Einige erinnerte er an eine alte Michael- Jackson-LP, andere vermuteten den Mauerfall oder auch nur ein weiteres Sprachspiel der Kunst. Hohn hat natürlich an Disco gedacht.

Bis 27. 8., Do. 14–22, Fr.–So. 14–18 Uhr, Potsdam

Daß beim Boxen der Kampf vom Kopf ausgeht, mag für Christian Thomas Anlaß genug gewesen sein, eben solche Köpfe – schwitzend, angeschlagen oder finster – zu fotografieren. Einen anderen Grund für seine drei Dutzend Portraits in der PPS. Galerie gibt es nicht. Zwar heißt die Ausstellung „vom Gewinnen und Verlieren“ und soll laut Beiblatt vermitteln, wie es Thomas gelang, „die Boxer wegzubringen von der Aggression in eine Ruheposition, in der Zeichen der Verletzlichkeit spürbar werden“. Aber in der kurzen Zeitspanne einer Fotografie haben sich Künstler und Modell nicht viel zu sagen gehabt.

Die Gesichter sind mittig ausgeleuchtet, und die Boxer gucken streng, zornig oder gefaßt, immer aber als „role models“ aus dem Ring zurück. Eric Wright aus L.A. baut sich mit einem stramm um den Schädel gebundenen Kopftuch wie eine Gangster-Ikone auf, und der deutsche Kickboxmeister Hubert Naunrich läßt seine Dschingis-Khan-Zöpfe dekorativ über die rechte Schulter hängen. Beim Rest der Meisterboxer aber stechen meist nur zermatschte Augenbrauen hervor, oder man sieht halt die Fäuste zur Deckung gegen die Kamera erhoben. Wenn darin bereits „das Wesen des Menschen“ liegen soll, dem der Fotograf nachspüren wollte, dann ist Kampf vom Leben kaum mehr zu trennen. Nur ganz oben im vollgehängten Treppenhaus findet sich ein selten gut gelaunter Felix Savon aus Kuba, der über Gebühr freundlich daherstrahlt in seiner weißen adidas-Jacke. Er ist allerdings fünffacher Weltmeister, zudem Olympiasieger und vermutlich auch in solcherlei Augenblicken der Freude wachsam.

Bis 22. 8., Mo.–Fr. 8–21, Sa./So. 10–18 Uhr, Hirtenstraße 19

Das Haus, in dem die Galerie des Kulturamtes Pankow residiert, ist überdeterminiert. Als Nachbarn hat man Anwaltspraxen und den Ortsverband von Bündnis 90/Die Grünen mit Poppe als Spitzenkandidaten. Kunst an diesem Ort tut sich entsprechend schwer, über den Schatten zu springen, den der Gesellschaftsapparat wirft. Thomas Lochers Schriftarbeiten machen da keine Ausnahme.

In zwei Räumen werden Sprachmodelle entlang der Grammatik dekliniert, auf mittelformatigen Bildtafeln hat der Kölner das System des Satzbaus innerhalb der deutschen Sprache aufgedröselt, staubtrocken schwarz auf weiß.

„Es ist die Sprache, die spricht“, so Locher in einem Manifest von 1992 – nun hat er alles, was der Fall ist, gleich kolumnenweise heruntergemalt, ohne ein einziges Beispiel dabei zu benutzen. Eine Trockenübung in Sachen Formalismus, die sich nebenan, auf farbige Plastikstreifen geprägt, wiederholt. Dort ordnet er Zahlen von Eins bis Sieben unterschiedlichen Farbwerten zu, deren Verbindung sich jedoch nicht näher erschließt. Die Kunst als Sprache bleibt selbstbezüglich und ebenso begrenzt.

Daß sich das ganze Grammatologisieren in einem letzten Schritt ausgerechnet an dem Satz „Soldaten sind Mörder“ auflösen läßt, stimmt dann doch bedenklich. Für ein Projekt im Rahmen von Künstlerseiten der österreichischen Tageszeitung Der Standard hat Locher diesen Tucholsky-Satz komplett semiologisch analysiert, um am Ende alle Fußnoten und Bemerkungen wieder zu schwärzen. Wenn sich hinter dieser Position Ironie verbirgt, dann ist sie gut versteckt.

Subjekt/Objekt, bis 11. 8., Di.–Sa. 14–18 Uhr, Breite Str. 8

Ironie ist gleich das erste, was beim Betreten der Installation von Susanne Paesler im Studio III des Künstlerhauses Bethanien auffällt: Der Boden ist mit einem flauschigen Samtteppich in Himmelblau metallic ausgelegt, so daß allein schon die changierenden Fußabdrücke der Besucher ein Spurengewirr à la Jackson Pollock erzeugen. An der Stirnseite des Raumes hängen drei großmaschig gestreifte Bilder und eine Fotografie, daneben liegt ein pastellfarbener Spielwürfel, in den man allerlei Grundformen hineinstopfen kann: Dreieck, Raute, Fisch. Kunst als Fortsetzung des Kinderzimmers. Besucherschule. Wer sich so vorbereitet den Bildern zuwendet – sauber Streifen für Streifen sich in Gelb, Blau und Pflaume überkreuzende Tischdeckenmuster, das Foto mit drei in Reihe gehängten Lederlaufbändern für die ersten Freigangsversuche –, dem zurrt sich die Erinnerung im Proustschen Sinn unwillkürlich zusammen. Nur, darum geht es Paesler gar nicht. Ihre Arbeit versucht sich gerade gegen die vom Sentiment umnebelten Gedächtnisbilder zu stemmen. Aus der Nähe betrachtet, bleiben die vertraut erscheinenden Textilien konturlos und ohne Tiefenwirkung, nichts als geometrische Feinarbeit.

Gert Mattenklott schreibt darüber mit Bedacht: „Das kunstvolle Stoffmuster bleibt ohne Kontrast zu einem Nichtkünstlichen. Statt dessen wird es selbst zum Bildthema: das Künstliche als Gegenstand der Kunst.“ Was bleibt, ist ein Gewebe aus symmetrischen Strukturen.

Bis 6. 8., Di.–So. 14–19 Uhr, Mariannenplatz 2 Harald Fricke

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