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„Verantwortungslose Therapeuten“

■ Interview zu Sex in der Therapie mit der Psychoanalytikerin Monika Becker-Fischer

taz: Frau Becker-Fischer, wo fängt in einer Therapie sexueller Mißbrauch an, wo hört er auf?

Monika Becker-Fischer: Intime sexuelle Beziehungen sind in einer Therapie immer Mißbrauch. Das gilt auch für einen erotisch motivierten Kuß.

Handeln Therapeuten, die sexuelle Kontakte zu ihren KlientInnen knüpfen, verantwortungslos?

Ja. In einer Therapie entstehen notwendigerweise Abhängigkeit und Machtverhältnisse, weil ein Hilfloser sich an jemanden wendet, von dem er Hilfe erwartet. Diese Abhängigkeit der Patientin und die Machtposition des Therapeuten wird bei Mißbrauch ausgenutzt.

Welche Folgeschäden gibt es?

Wenn die Therapie oder Beziehung beendet ist, merken die Patientinnen, daß es ihnen immer schlechter geht, daß sie depressiver werden. Sehr viele sind stark suizidgefährdet. Viele reagieren mit psychosomatischen Beschwerden. Grundsätzlich kann man sagen, daß sich jene Beschwerden verstärken, wegen derer die Betroffenen in Behandlung gegangen sind. Und es kommen durchschnittlich zwei neue Symptome hinzu.

Welche sind das?

Meistens Depressionen, Selbstmordgefahr, psychosomatische Störungen, sehr heftige Phobien und Ängste. Man kann das aber nicht so ganz genau sagen, weil das mit den Beschwerden zusammenhängt, mit denen sie anfangs gekommen sind.

Werden durch einen solchen Eingriff nur die direkt Betroffenen geschädigt oder wirkt sich das auch auf das soziale Umfeld aus?

Normalerweise gehen die bestehenden Beziehungen kaputt. Die Therapeuten geben der Patientin zu verstehen, daß der vorhandene Partner nicht der Richtige sei und schleichen sich in die Beziehung ein. Vorhandene Partnerschaften gehen aber auch nach der Therapie kaputt, weil die Folgeschäden so schlimm sind.

Können die Opfer nicht sagen, wieso es ihnen schlecht geht?

Doch, aber die Partner können in der Regel nur sehr schwer verstehen, daß es sexuelle Kontakte zu dem Therapeuten gab. Sie begreifen nicht, daß diese Beziehung keine normale Untreue war, sondern daß die Patientin mehr oder weniger da reingezogen und ausgebeutet worden ist.

Sie sprechen immer nur von Frauen?

Wir haben unsere Aufrufe für die Untersuchung geschlechtsneutral gestaltet. Aber es haben sich zu 95 Prozent Frauen gemeldet. Die Opfer sind meistens Frauen. Obwohl wir schon den Eindruck haben, daß die Dunkelziffer bei Männern hoch ist. Für die ist es schwierig, sich als Opfer zu begreifen.

Welche Vorteile brächte ein Gesetz wie es der Bundesrat vorgeschlagen hat?

Eine wesentliche Gruppe der Therapeutentäter könnte strafrechtlich gefaßt und unter Umständen mit Berufsverbot belegt werden. Vor allem die, die das wiederholt machen. Das sind mindestens 50 Prozent derer, die sexuelle Kontakte mit ihren Patientinnen haben. Sie führen gleichzeitig mehrere Beziehungen oder suchen sich nach Beendigung der einen gleich die nächste. Es handelt sich um psychopathische Triebtäter, die sich als nicht rehabilitierbar erwiesen haben. Sie haben rund 80 Prozent der Opfer zu verantworten. Deswegen wäre es wichtig, daß diese Menschen nicht mehr als Therapeut arbeiten dürfen.

Wenn das Gesetz beschlossen wird, wird die Verjährungsfrist für sexuellen Mißbrauch in der Therapie wahrscheinlich fünf Jahre vom Zeitpunkt der Tat an sein. Reicht das?

Nein. Die Verjährung dürfte erst von dem Zeitpunkt an beginnen, an dem die Betroffene selbst gemerkt hat, daß ihre psychischen Schädigungen mit dem Übergriff in der Therapie zusammenhängen. Monika Becker-Fischer (47) und ihr Mann haben im Auftrag des Bundesfrauenministeriums sexuellen Mißbrauch in der Therapie erforscht. Sie wollen nun ein überregionales Selbsthilfenetz für Betroffene aufbauen.

Interview: Karin Nink

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