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Serben und Kroaten in einem Staat?

Die Kroaten beharren auf einem kroatischen Nationalstaat, gemäßigte serbische Kroaten fordern einen „Staat der Serben und Kroaten“. Die Verhandlungen beginnen heute in Genf  ■ Aus Zagreb Erich Rathfelder

Die Medien und viele Politiker in Zagreb geben den Verhandlungen zwischen den kroatischen Serben und den Kroaten, die heute in Genf beginnen sollen, kaum eine Chance auf Erfolg. Zu festgefahren seien die Fronten zwischen den verfeindeten Parteien. Nur größter Druck von außen könne jetzt noch eine Militäraktion der kroatischen Armee abwenden. Die kroatische Regierung wolle nämlich die Souveränität in den von Serben besetzten Gebieten Kroatiens wiederherstellen, so die Presse. Alle Versprechungen der UNO, dies auf friedlichem Weg zu erreichen, seien bisher gescheitert. Darüber hinaus dürfe man das Schicksal der 180.000 Menschen in Bihać nicht aus den Augen verlieren. Man dürfe die Menschen dort nicht ewig den Angriffen der serbischen Extremisten aussetzen, sagen die Kommentatoren der Zeitungen.

Ob Bihać für die kroatische Argumentation nur vorgeschoben ist oder nicht, sei dahingestellt. Seit der Militäraktion der kroatischen Armee in Westslawonien im Mai dieses Jahres, als kroatische Truppen in einem „Blitzkrieg“ die serbischen Stellungen überrollten und in diesem von Serben besetzten Gebiet „die Souveränität Kroatiens“ wiederherstellten, waren die Gesprächsfäden, die bis dato zwischen der kroatischen Regierung und den Repräsentanten der international nicht anerkannten „Serbischen Republik Krajina“ existierten, völlig abgebrochen.

Dieser militärische Erfolg stärkte das Selbstbewußtsein der kroatischen Regierung, aber auch der kroatischen Bevölkerung, und rückte die „militärische Option“ in den Vordergrund. Die 1991 von den Serben eroberten Gebiete – in der Krajina, Lika, Banija und in Ostslawonien, die jetzt noch rund 25 Prozent des Staatsgebietes ausmachen (rund 13.000 Quadratmeter), sollen mit militärischer Gewalt zurückerobert werden.

Die Verhandlungsspielräume sind in der Tat begrenzt. Für die radikal nationalistisch gesinnten Serben in Kroatien steht die „Serbische Republik Krajina“ für den Anspruch, diejenigen Gebiete in Kroatien, in denen eine serbische Bevölkerungsmehrheit existiert, von Kroatien abzutrennen und mit den „serbischen Ländern“ zu einem Großserbien zu vereinen. Gerade dies wollen die Kroaten verhindern. Die Grenzen der Republik Kroatien von 1945 sind für sie nicht verhandelbar. Deshalb müßten die Serben in der Krajina wie in den anderen „serbisch besetzten Gebieten“ Kroatiens – so die kroatische und internationale Sprachregelung – wieder in den kroatischen Staat zurückkehren. Bei den Bedingungen, wie dies geschehen könne, ist die kroatische Regierung allerdings kompromißbereit. Sie will den Serben weitgehende Autonomierechte politischer wie kultureller Art zugestehen, wie dies kürzlich Außenminister Mate Granić noch einmal betonte. Die Regierung beharrt jedoch darauf, die „Souveränität des kroatischen Staates“ in den Serbengebieten durchzusetzen. Die kroatische Verfassung und Gesetze des Parlamentes, des „Sabor“, hätten auch in den Serbengebieten zu gelten. Die Außengrenzen müßten durch die kroatische Armee gesichert werden. Eigenständige militärische Formationen der Serben hätten keine Existenzberechtigung. Verhandlungen, so die kroatische Position, könnten sich lediglich auf die Modalitäten der Rückgliederung in den kroatischen Staat beziehen.

Keine Wiederkehr des „Ustascha-Staates“

Für die Serben in Kroatien hingegen – vor dem Krieg rund 12 Prozent der Bevölkerung – ist dieses Kompromißangebot nicht weitgehend genug. Auch moderate serbische Politiker in Kroatien wie Milorad Pupovac, der in Zagreb lebt und grundsätzlich einen Staat Kroatien anerkennt, können sich auf diese Bedingungen nicht einlassen. Ihre Kritik richtet sich gegen die Definition der kroatischen Nationalbewegung, Kroatien sei ein „Nationalstaat der Kroaten“, die Serben in Kroatien seien dagegen nur eine nationale Minderheit. Pupovac fordert die Gleichberechtigung der Serben mit den Kroaten in einem Staat der „Kroaten und Serben“. Und er erinnert daran, daß im Habsburgerreich vor 1918 Kroaten und Serben in Kroatien gleichberechtigt gewesen seien.

Dieser Antagonismus ist der Kern des Konfliktes zwischen Serben und Kroaten, seit die Debatte um die Unabhängigkeit Kroatiens 1989 begann. Zwar fand sich ein Teil der in Zagreb ansässigen rund 50.000 Serben mit der Tatsache ab, daß ein kroatischer Staat entstehen würde.

Die übergroße Mehrheit der ländlichen Bevölkerung in den serbischen Mehrheitsgebieten folgte jedoch den nationalistischen Scharfmachern, die den neuen kroatischen Staat als Wiederkehr des „Ustascha-Staates“ des Zweiten Weltkrieges diffamierten und damit Ängste bei der serbischen Bevölkerung schürten.

Als 1989 erkennbar wurde, daß die großserbische Option, die von der serbischen Führung in Belgrad damals offen propagiert wurde, die Oberhand gewann, stärkte dies auch die radikalen nationalistischen Kräfte in Kroatien. Selbst die Mehrheit der Kroaten wollte seither in der Frage des kroatischen Nationalstaates nicht mehr mit sich reden lassen. Der im April 1990 als Präsident Kroatiens gewählte Franjo Tudjman steht für diesen Anspruch. Und an der Konstellation hat sich nichts geändert. Deshalb deuten alle Zeichen auf eine Militäraktion. Die kroatische Seite will offenbar nach dem „Modell Westslawonien“ vorgehen. Spezialeinheiten sollen die serbischen Kräfte schlagen, die Zivilbevölkerung soll jedoch nicht vertrieben werden. Einen eigenständigen serbischen Staat auf kroatischem Boden will die kroatische Führung jedoch nicht mehr zulassen.

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