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Adnan Mansour versucht durchzuatmen. Nur die Wachleute können die Fenster öffnen. Jemand muß klingeln und darum bitten. Wer pinkeln will, muß klingeln. Wer fernsehen will, muß klingeln... Hierzulande werden Menschen weggesperrt, um sie ausz

Adnan Mansour versucht durchzuatmen. Nur die Wachleute können die Fenster öffnen. Jemand muß klingeln und darum bitten. Wer pinkeln will, muß klingeln.

Wer fernsehen will, muß klingeln... Hierzulande werden Menschen weggesperrt, um sie auszuweisen. Vom Alltag im Berliner Abschiebeknast Kruppstraße soll aber niemand erfahren. Seit anderthalb Jahren darf kein Journalist mehr hinein. Die taz-Reporterin Bascha Mika hat sich trotzdem umgesehen.

Es ist die Angst, die dich mürbe macht

Er hört sie kommen. Sie überraschen ihn nur selten im Schlaf. Er liegt mit halbgeschlossenen Augen, hört das Schloß schnappen, dann ein knappes „Morg'n! Aufstehn, meine Herren!“ Im Bett nebenan zuckt eine Masse wirren Haars aus dem Kissen, in der Koje unter ihm nuschelt eine belegte Stimme: „Gowno.“ Das ist der Pole. Seinen Namen zu merken lohnt nicht; die Russen, Rumänen und Polen bleiben nie lange hier.

Er klettert vom Doppelbett, rupft die Trainingshose von der Matratze, kriecht in die Badelatschen. Die Luft in der Zelle klebt von schalem Atem und Schweiß. Dunst von acht Männern. Acht Männer auf dreißig Quadratmetern. Nachts bleiben die Fenster geschlossen.

Im Flur stehen zwei Beamte vom Frühdienst. Breitbeinig, in grauen Uniformhosen und hellgrauen Hemden. „Algerier haben wir zur Zeit so Stücker 19“, rechnet der eine dem anderen vor. Die Wächter warten, bis alle Insassen den „Verwahrraum“ verlassen haben. Ein Bangladescher, ein Mann aus Sri Lanka, zwei Araber... Wer will, kann duschen; die anderen schlurfen in den Aufenthaltsraum. Sie werden eingesperrt, während ihre Zelle geputzt wird. Es ist sieben Uhr.

Er läuft die 40 Meter über den Gang zu den Toiletten. Die Wände bedeckt ein ölig-dicker, schimmelgrauer Anstrich, der PVC-Boden ist abgeschabt. Hinter breiten Eisentüren liegen die Zellen; drei pro Flur mit 24 Häftlingen. Drei Toiletten, vier Duschen. Kabinen gibt es nicht. Bei den Pißbecken schlägt ihm ein scharfer Geruch entgegen, in einem steht blaßgelbe Jauche. Er pinkelt, duscht. Die Badelatschen bleiben an – wegen der Pilze. Neben ihm schrubben sich drei andere Männer. Ihre dunklen Stoppelbärte sprießen seit Tagen. Es gibt nur Gemeinschaftsrasierer; die nutzen die Häftlinge so selten wie möglich. Sie ekeln sich.

Zum Kämmen blickt er in eine flache Metallscheibe, die über dem Becken hängt. Spiegel gibt es nicht. Mit Spiegelscherben könnte man sich die Pulsadern aufschneiden oder jemanden attackieren. Die fleckige Metallfläche wirft sein Gesicht grotesk verbogen zurück: Adnan Mansour*, 18 Jahre alt, seit 15 Monaten in Abschiebehaft, Berlin, Kruppstraße 15.

Er kam 1993 aus Nordafrika, woher genau, versucht er zu verbergen, er will nicht zurück. Ein deutscher Urlauber hatte ihn mit einem Flugticket in die Bundesrepublik gelockt, weg von seiner Familie und seinem Hoteljob. Seinen Asylantrag begründete der Junge politisch, er wurde als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Statt Deutschland zu verlassen, machte sich Adnan vom Flüchtlingsheim Delitzsch auf nach Berlin. Bei einer Razzia schnappte ihn die Polizei, steckte ihn ins LKA 61212. Abschiebehaft. Da war er sechzehn.

Frühstück. Die Zelle ist zugesperrt. In einer dreilitrigen Eisenkanne dümpelt lauwarmer Tee. Zwei Scheiben Graubrot, zwei Scheiben Toast, zwei Stücke Käse. Die Brote sind mit einer dünnen Schicht Fett bedeckt. Die Häftlinge könnten sie nicht selbst schmieren, Messer gibt es nicht, nicht einmal welche aus Plastik.

Die Männer hocken um den am Boden festgeschraubten Tisch. Ihre Klamotten sind verschossen, viele besitzen nur das, was sie bei ihrer Verhaftung am Körper trugen, und eine Garnitur aus Kleiderspenden zum Wechseln. Ihre Habe hängt über den mattgrünen Bettstreben, klemmt zwischen den Gittern aus Eisen vor dem Fenster oder liegt unter dem Kopfkissen. Spinde oder Regale gibt es nicht. Ihre nackten Füße stecken in Schuhen mit heraushängenden Laschen oder in Latschen. Schnürsenkel gibt es nicht.

Adnan sieht den anderen nicht ins Gesicht. Mit den meisten kann er nicht reden. Im Polizeigewahrsam Kruppstraße in Berlin-Moabit sind immer um die 170 Männer in Haft – mit bis zu 30 Nationalitäten. Adnan spricht Arabisch und ein paar Brocken Deutsch, „Gefängnisdeutsch“, wie er sagt und für das er sich schämt.

Einer am Tisch ißt nicht. Halil Cengiz* hält seinen kleinen dünnen Körper mit den Armen umfangen, seine Hände zittern, ein Finger hackt in kurzen Abständen auf immer dieselbe Stelle zwischen den Rippen ein. Seine Augen stieren dumpf ins Leere, sie sind blutunterlaufen unter den schwarzen Wimpern. Cengiz ist seit mehr als drei Wochen im Hungerstreik. Auf seinem verschossenen T-Shirt steht „Let's stand up“.

Seit März sitzt er in der Kruppstraße. Zweimal hatte ihn die Polizei schon zum Flughafen Schönefeld geschafft. Das erste Mal stieß er um sich und schrie, bis sie ihn zurückfuhren; das zweite Mal schluckte er Geldstücke, was ihn fast umbrachte, aber flugunfähig machte. Wieder kam er zurück in Abschiebehaft. Er ist Kurde, versichert Cengiz, und wird in seiner Heimat verfolgt. Die Ausländerbehörde glaubt ihm kein Wort. Jedesmal, wenn sich die Zellentür öffnet, denkt er, sie kommen ihn holen. Es ist die Angst, die dich mürbe macht, sagen die Gefangenen. Draußen scheint die Sonne, drinnen tigert Adnan in der Zelle auf und ab. Zehn Schritte vor und zurück. Ab und an heben der Pälästinenser und der Algerier den Kopf und beobachten ihn.

Jugendliche würden in der Abschiebehaft gesondert verwahrt – behauptet der Berliner Senat. Eine Lüge für die Öffentlichkeit. Die „Sonderverwahrung“ ist zwar gesetzlich vorgeschrieben, aber die Realität ist anders. Adnan war immer mit Erwachsenen zusammengesperrt. Auch schon als 16jähriger. Niemand erzählt laut, was mit den Jungen passiert, die zwischen diese Männer geraten. Auch Adnan nicht.

Der Palästinenser und der Algerier spielen Schach – oder versuchen es, denn drei Bauern und ein Läufer fehlen. Zwei andere Gestalten liegen zusammengerollt auf ihren Betten. Sie haben Diazepam geschluckt, Beruhigungspillen zum Wegdämmern, die sind vom Sanitäter leicht zu bekommen. Wer will, kann sich auch Dope verschaffen. Damit und mit den Tabletten versuchen sich die Süchtigen hier drinnen zu retten. Kein Häftling wird vor seiner Einlieferung ärztlich untersucht, wer als Fixer in die Kruppstraße einfährt, kommt auf kalten Entzug.

Adnan schnappt sich ein arabisches Buch aus der Hausbibliothek, setzt sich auf die lehnenlose Holzbank beim Tisch, liest zwei Zeilen, vier, fünf. Nach einer Seite starrt er blicklos auf die Zeichen, das Kribbeln im Kopf wird unerträglich. Er knallt das Buch hin, er kann sich nicht konzentrieren. Als er eingeliefert wurde, hat er sich um Bücher gerissen, jetzt schafft er mühsam einen Zeitungsartikel.

Er versucht tief durchzuatmen, die Luft in der Zelle ist schon wieder verbraucht. Die Fenster können nur vom Büro des Wachdienstes aus geöffnet werden. Jemand muß klingeln und darum bitten. Wer pinkeln will, muß klingeln, wer zu den beiden Münzfernsprechern im Flur will, muß klingeln. Manchmal dauert es zwanzig Minuten, bis der Wachmann reagiert. Im letzten Jahr wäre ein asthmakranker Palästinenser zwischenzeitlich beinahe erstickt.

Geschrei. „They wanna kill me!“ Adnan und der Algerier stürzen zur Tür und linsen durch die oben eingelassene winzige Scheibe. Draußen auf dem Gang brüllt der Schwarzafrikaner aus der Nachbarzelle: „They wanna kill me!“ In einer Hand schwenkt er eine Plastiktüte. Er stülpt sie um, kleine weiße Päckchen klatschen zu Boden. Maaloxan – ein harmloses Magenmittel, das der Sanitäter verordnet hat. Doch der Afrikaner glaubt, es solle ihn systematisch vergiften. Knastkoller.

In der Kruppstraße ist ein Beamter für 1,27 Insassen zuständig. Die Häftlinge teilen die Wächter ein in die „guten“ und die „schlechten“. Momentan hat eine gute Schicht Dienst. Eine schlechte hätte den Tobenden ergriffen, ihm die Arme auf den Rücken gefesselt und ihn in den Bunker geschleift: eine zweieinhalb mal eineinhalb Meter große Kiste mit einer Schaumstoffmatratze auf dem Boden, kein Fenster. „Alleinzelle“ heißt sie bei Adnan. „Besondere Sicherungsmaßnahmen“ nennt das der Berliner Polizeipräsident in seiner Geschäftsanweisung LPOLDir Nr.10/1988, die die Abschiebehaft regelt.

Wenn ein Häftling Krach kriegt mit den Beamten, steht er allein da. Solidarität gibt es nicht, die Männer haben zuwenig gemeinsam. Die einen stecken nur Tage in der Abschiebehaft, die anderen Wochen, die dritten Monate, die vierten schon über ein Jahr. Die einen haben zwanzig Jahre in Deutschland gelebt, die anderen sind seit sechs Wochen da. Oft verstehen sie kein Wort, begreifen nicht, warum sie im Knast gelandet sind und wie sie wieder herauskommen sollen. Rassismus gibt es hier wie überall. „I'm not a criminal like the others“, schreit der Afrikaner, „let me out of heeeere!“

Es gibt eine Sozialarbeiterin, die die Gefangenen berät. Eine für 170 Leute. Viele quält Scham und Schande, weil sie im Gefängnis sind. Wenn Adnan seine Eltern mal anruft, erzählt er alles mögliche – nur nie, daß er hinter Gittern sitzt.

Wie spät ist es? Adnan kann nur raten. Uhren gibt es nicht. Den Häftlingen werden sie weggenommen, es hängt keine in der Zelle oder auf dem Flur. Irgendwann rasseln Schlüssel. Hofgang. Eine Stunde. Wann sie rauskommen, wissen die Männer nicht. Manchmal um sieben morgens, manchmal nachmittags.

Draußen hat einer einen Ball. Er kickt, ein anderer schießt zurück, ein Dritter donnert den Ball fast gegen einen Baumstamm. Die Männer brüllen. Vorsicht! Der Spaß kann schnell vorbei sein. Die Bäume sind mit Natodraht umwickelt, damit niemand draufsteigen kann. Im letzten Jahr haben drei Palästinenser mit Schlingen um den Hals oben gehockt und mit Selbstmord gedroht. Seitdem lebt kein Ball lange.

Im Haus steht der Essensmief. Es muß ein Uhr sein. Mittagessen. Adnan und die Männer hocken um den Tisch in der verschlossenen Zelle. Der Pole fehlt, sie haben ihn abgeholt. Die Portionen werden aus großen silbernen Kübeln auf Styroporteller geklatscht. Porzellan gibt es nicht. Mohrrüben, Mais und Porree schwimmen in wäßrig weißer Soße, daneben ein kleiner Berg Reis. „Die Reste aus der Polizeikantine“, spötteln die Männer. Sie trinken Mineralwasser und sie trinken Fanta aus Zwei-Liter-Plastikflaschen dazu. Die können sie sich vom Personal besorgen lassen – gegen Bezahlung. Es gibt 2,86 Mark Taschengeld pro Tag.

Adnan tigert durch die Zelle, der Palästinenser und der Algerier spielen Schach, einige Gestalten liegen zusammengerollt auf den Betten. Vielleicht fernsehen? Adnan klingelt, läßt sich in den Aufenthaltsraum bringen, da läuft schon lange die Kiste. Kabelprogramm. Ständig gibt es Streit um den Sender. Das Gerät steht hinter Panzerglas. Adnan glotzt abwesend. Die Filme laufen auf deutsch oder türkisch, die eine Sprache versteht er wenig, die andere gar nicht. Ein Wachmann holt ihn ab. Besuch. Im ersten Stock wird er zu einer der Gesprächsboxen geführt. Auf der anderen Seite der dicken Glasscheibe sitzt sein Gast. Das Glas spiegelt, er kann ihn kaum erkennen. Berührung gibt es nicht.

Adnan hat keine Verwandten, die sich um ihn kümmern könnten, aber die „Initiative gegen Abschiebehaft“ besucht ihn regelmäßig, berät ihn und bringt ihm kleine Geschenke. Mal Obst, mal ein Buch. Adnans einziger Kontakt nach draußen, abgesehen von den Gesprächen mit dem Anwalt. Zig Stimmen lärmen im Besucherraum, er kann seinen Gast kaum verstehen.

30 Minuten, die Besuchszeit ist um. Zurück in die Zelle. Die ist durchsucht worden – Alltagsroutine. Fernsehen. Abendessen um sechs. Wieder Fernsehen. Kurz vor zehn kommt ein Wachmann, schaltet die Glotze aus. Ab in die Betten. Um zehn wird das Licht gelöscht. Er liegt da, mit halbgeschlossenen Augen.

*Namen von der Redaktion geändert

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