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Sadako Kurihara: Leben unter der Drohung der Bombe

Nur wenigen Opfern der Atombombe gelang es nach dem 6. August 1945, ihre Erlebnisse vor dem Verdrängen zu bewahren. Zu ihnen zählt die 82jährige Lyrikerin Sadako Kurihara, die mit ihrem Gedicht aus der atomaren Hölle, „Helft den Gebärenden“, Weltruhm erlangte und zu den Mitbegründerinnen der sogenannten Atombombenliteratur zählt.

Kurihara wohnt noch heute in dem gleichen Stadtteil von Hiroshima, wo sie vor 50 Jahren die erste Atombombenexplosion erlebte. Dort befand sie sich vier Kilometer vom Hypozentrum der Bombe entfernt. Sie erlitt zwar keine unmittelbaren Verletzungen. Doch seither lebt Sadako Kurihara unter den drohenden Spätfolgen der Bombe, denen ihr Mann Tadakazu im Oktober 1980 erlag.

In Japan haben Kuriharas Gedichte solche Anerkennung erlangt, daß sie trotz ihrer unnachgiebigen Kritik an der japanischen Kriegsschuld im Zweiten Weltkrieg in den streng zensierten Schulbüchern des Landes Aufnahme fanden. In ihrem Schlüsselwerk „Wenn wir Hiroshima sagen“ von 1972, relativiert sie die japanische Atombombenerfahrung vor den Erfahrungen von Amerikanern, Chinesen und anderen Asiaten, die mit Hiroshima ihre Befreiung von der japanischen Tyrannei erlebten.

Kurihara, die schon vor Kriegsende eine überzeugte Demokratin und Kaisergegnerin war, hat seither weder ihre Grundhaltung noch ihren Lebenswandel geändert. Gäste empfängt sie in einem kleinen Vorzimmer, wo in einem einfachen Bücherregal ihre verschiedenen Werke samt den Übersetzungen angeordnet sind. Die Wände schmücken gleich mehrere Darstellungen des „Atombombengedächtnisdoms“, des einzigen Gebäudes von Hiroshima, das seit den Zerstörungen von 1945 unverändert von der Atomkatastrophe zeugt. Auch ein Plakat vom Internationalen Autorenkongreß „Interlit“, der 1982 in Köln stattfand, ist aufbewahrt: Dort erlebte Kurihara unter dem Beifall des deutschen Literaturnobelpreisträgers Heinrich Böll einen ihrer wichtigsten Auslandsauftritte. In einer vielbeachteten Rede brachte die Trägerin des japanischen Tanimoto-Friedenspreises in Köln die umstrittene Klage vor, daß die japanische Atombombenliteratur im Gegensatz zu den Werken, die die Erfahrungen in den deutschen Konzentrationslagern beschreiben, schon deshalb keine vergleichbare Weltöffentlichkeit fanden, weil sie von den Taten der Sieger handelten und von ihnen jahrelang zensiert und verboten wurden. Georg Blume

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