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Die Friedrichstadt als Mondlandschaft

■ Ist das Eintreten für den Erhalt alter Bausubstanz ein konservatives Thema? / Der Kunsthistoriker und Stadtführer Ernst Siebel: Nur dann nicht, wenn auch über die Nutzung und die städtische Funktion g

taz: Vor drei Wochen wurde in der Mauerstraße 15 ein denkmalgeschütztes Gebäude abgerissen. In der Clara-Zetkin-Straße 122 und 114 sollen zwei Gebäude der Jahrhundertwende Bundestagsbüros weichen, und beim Zollernhof zog der Senat das „denkmalschützerische Interesse“ zugunsten des Investors zurück. Stehen die Zeichen noch immer auf Abriß?

Ernst Siebel: Im Prinzip ja. Zwar gibt es keinen flächendeckenden Abriß, wie noch vor einem Jahr befürchtet. Was aber in der Berliner Mitte durchgängig beobachtet werden kann, ist die Mißachtung historischer Bausubstanz hinter den Fassaden, der Abriß alter Treppenhäuser oder die Entkernung ganzer Gebäudeteile wie im Zollernhof.

Den im letzten Jahr erfolgten Abriß des Rosmarin-Karrees, der letzten Gasse an der Friedrichstraße, bezeichnete Mittes Baustadträtin Dorothee Dubrau als ihre schlimmste Niederlage. Weshalb gibt es in Berlin nur solche vereinzelten Proteste gegen den herrschenden Umgang mit den Resten der verbliebenen Stadt?

Es gibt in Berlin eine Abrißtradition, die bereits mit der Industrialisierung, spätestens mit der Reichsgründung 1871 deutlich wird. Obwohl damals schon weite Teile der historischen Bebauung abgerissen wurden, waren die Proteste gering. Das hat damit zu tun, daß die Abrißwelle ab der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts auch Ausdruck eines zu Macht gekommenen Bürgertums war. Nicht mehr die baulichen Zeugnisse der Hohenzollern sollten fortan das Berliner Stadtbild bestimmen, sondern die Repräsentationsbauten des Bürgertums. Das hat, wenn man so will, auch etwas Subversives gehabt. Gerade im Bürgertum war deshalb der Wille, die alten Gebäude zu erhalten, sehr gering, obwohl die abgerissene Substanz teilweise von hochrangigen Architekten errichtet war, wie die alte Post von Schlüter oder der Apothekenflügel des Schlosses von Schlüter.

Nun geht es aber – wie beim Zollernhof – den durch Abriß und Neubau entstandenen Zeugnissen dieses Wirtschaftsbürgertums an den Kragen.

Der Druck der Investoren ist größer als das bürgerliche Interesse am Erhalt. Vor allem in der Berliner Mitte. Jeder schätzt den repräsentativen Charakter, der von den historischen Bausubstanz ausgeht. Aber selbst tut man nichts für den Erhalt. Weil man nicht in die Höhe kann, muß in die Tiefe gebaggert werden. Die Investoren drängen auf der einen Seite in die repräsentative Innenstadt und zerstören gleichzeitig das, was die Innenstadt attraktiv macht.

Sind denn Initiativen und Vereine wie zum Beispiel die „Gesellschaft Historisches Berlin“ in der Lage, eine Sensibilisierung für solche Themen zu schaffen? Oder wird da – wie am Pariser Platz – einem bloßen Historismus das Wort geredet?

Ein Verdienst der „Gesellschaft historisches Berlin“ ist es zweifellos, bestimmte Abbruchvorhaben immer wieder in die Schlagzeilen zu bringen. Auf der anderen Seite wird die alte Kuppel von Wallot auf dem Reichstag gefordert. Da besteht natürlich die Gefahr, durch eine zu starke Historizität das Ganze unglaubwürdig zu machen. Da entsteht mitunter auch der Eindruck einer gewissen Weltferne.

Ist das Eintreten für den Erhalt der alten Bausubstanz ein konservatives Thema?

Altbausubstanz soll bewahrt werden. Insofern ja. Gleichzeitig ist dieses Konservieren ja gegen eine Politik zu verteidigen, die vor allem von den Konservativen vertreten wird. Der Erhalt der Altbausubstanz kann aber, das haben ja auch in Westberlin die achtziger Jahre gezeigt, aus einer progressiven Bewegung heraus geschehen.

Eine Bewegung, die sich aber mit dem Erhalt der Bausubstanz nicht zufriedengibt.

Es müßte dann auch wieder um den Erhalt städtebaulicher Strukturen und die Funktion städtischer Nutzungen gehen. Davon kann in der Berliner Mitte derzeit aber keine Rede sein. Der Versuch, die Friedrichstadt als Geschäftsstadt zu rekonstruieren, sehe ich mit großem Pessismismus. Gerade die Friedrichstraße ist, wenn man so will, ein Baum ohne Wurzeln.

Sie arbeiten auch als Stadtführer. Ist es für Ihr Publikum nachvollziehbar, daß es mit dem Erhalt von Fassaden nicht getan ist. Oder ist der Nostalgie Rechnung getragen, wenn, wie am Hofgarten, der äußere Schein gewahrt bleibt?

Die meisten sind zufrieden, wenn sie sehen, daß die Fassade erhalten bleibt. Es gibt im übrigen in der Berliner Innenstadt kaum noch historische Innenarchitektur.

Ist das ein Grund dafür, daß zumeist, wie auch bei der Architekturdebatte, nur um die Fassaden gestritten wird, nicht aber um die Qualität städtischer Nutzung, um eine kleinteilige Mischung?

Es muß wahrscheinlich erst einmal das Kind in den Brunnen fallen, bis man selbst erfährt, mit welcher Monotonie man es zu tun hat. Und das, obwohl wir längst wissen, daß die Bürokapazitäten, die derzeit entstehen, absolut hypertroph sind. Aber vielleicht erleben wir es ja auch noch, daß einmal Büroraum entfremdet, das heißt in Wohnraum umgewandelt wird.

Inzwischen wurde bekannt, daß die Eröffnung der gesamten Friedrichstadtpassagen auf das kommende Jahr verlegt wurde. Wird die Berliner Mitte wenigstens ab 1996 wieder das lebendige Geschäfts- und Vergnügungszentrum der Stadt werden?

Da hab ich große Zweifel. Es ist auch die Frage, inwieweit Lokale, Cafés, kulturelle Einrichtungen auch in den Seitenstraßen entstehen. Diesbezüglich erscheint die Friedrichstadt, die sich als Geschäftsviertel vor dem Krieg ja bis zum Spittelmarkt erstreckte, noch wie eine Mondlandschaft. Ob die Friedrichstraße als bloße Geschäftsenklave angenommen wird, ist fraglich. Interview: Uwe Rada

Antiabrißführungen mit Ernst Siebel bei art:berlin wieder am 13. August, 11 Uhr, Metropol-Theater.

Abrißführungen der „Gesellschaft Historisches Berlin“ jeden Sonntag 12 Uhr am Brandenburger Tor.

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