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■ Kubas Staatschef demonstriert am Jahrestag der UnruhenDie Revolution schafft sich selbst ab

Als vor einem Jahr am 5. August Tausende von Menschen zum Hafen in Havanna kamen, weil Gerüchte besagt hatten, daß erneut eine Fähre zur Überfahrt nach Miami gekapert worden sei, da empfing sie dort schon die Polizei – es kam zu den schwersten offenen Unruhen seit Beginn der kubanischen Revolution 1959. Wenn Fidel Castro heute gleich selbst zur Demonstration just auf jener Küstenstraße aufruft, dann auch, damit es andere nicht tun.

Obwohl sich die Situation verändert hat: Der Exodus des vergangenen Jahres, als etwa 30.000 Flüchtlinge Kuba verließen, hat dem Regime Erleichterung verschafft. Einige der Unzufriedensten waren weg, und als die USA dann auch noch begannen, die Flüchtlinge in Miami nicht mehr, wie vorher jahrzehntelang, als Helden zu begrüßen, sondern vielmehr in Lagern auf dem US-Marinestützpunkt Guantánamo oder in Panama einzuquartieren, da hatte Castro die US-Regierung, wo er sie haben wollte: unter Druck.

Auf Kuba selbst haben Bauern- und Handwerksmärkte, Dollarisierung und praktische Legalisierung des Schwarzmarktes die Versorgungssituation gegenüber dem Vorjahr etwas verbessert. International ist die Kuba-Politik der USA völlig isoliert, und Clinton scheint derzeit auch eher auf die moderate Opposition im Exil rund um „Cambio Cubano“-Chef Eloy Gutierrez Menoyo zu setzen als auf die reaktionären Hardliner um Jorge Mas Canosa. Und doch hat Fidel Castro recht, wenn er meint, die US-Politik werde offenbar von „Extremisten“ bestimmt. Die von Clinton vor wenigen Wochen angekündigte Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zu Vietnam etwa wurde sofort durch Jesse Helms konterkariert, den ultrarechten Vorsitzenden des außenpolitischen Senatsausschusses. Der erklärte schlicht, man werde für eine Botschaft in Hanoi kein Geld herausrücken.

Mit dem Kuba-Embargo wird auch ein Dogma verteidigt, das wenigstens für einen Teil des republikanischen Wählerpotentials längst identitätsstiftend geworden ist – genau wie für Fidel Castro. Wenn der verkündet, falls nötig weitere 100 Jahre gegen das Embargo ankämpfen zu wollen, wird das besonders deutlich: die Ungerechtigkeit des Embargos als Beleg für die Richtigkeit seiner Politik. So ist die auch nach dreieinhalb Jahrzehnten nicht aufgegebene Vorstellung, man könne die kubanische Revolution per Wirtschaftsboykott zum Ersticken bringen, längst zum Ärgernis geworden, das die Lebensbedingungen verschlechtert, Reformen aber eher verhindert. Die ökonomische Öffnung der letzten Jahre hat gezeigt, daß die Revolution sich am schnellsten selbst abschafft – unter Führung von Fidel Castro. Bernd Pickert

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