: Die Spur der Steine führt ins Museum
■ Nur knapp zwei Kilometer Mauer stehen noch. Der Rest wurde als Souvenirs in alle Welt verscherbelt oder zu Straßenbau-Granulat für die neuen Länder zermahlen
Knapp sechs Jahre nach dem Fall der Mauer sind von der am 13. August 1961 errichteten und immer weiter perfektionierten 155 Kilometer langen Grenzbefestigung rund um Westberlin gerade noch knappe zwei Kilometer übrig – und das auch nur, weil sie unter Denkmalschutz gestellt wurden.
Nur vier kleine Abschnitte erinnern noch an die einst fast unüberwindlichen Sperranlagen. Jeweils rund 200 Meter stehen noch am Invalidenfriedhof zwischen Mitte und Tiergarten, an der Niederkirchnerstraße am Preußischen Landtag sowie an der Bernauer Straße. Mit 1,2 Kilometern das längste Stück ist die heute als East Side Gallery bekannte ehemalige Hinterlandmauer an der Mühlenstraße in Friedrichshain.
Der Verlauf der Sperrmauer mitten durch Berlin soll jedoch dokumentiert werden. In den Bereich Absurdes gehört beispielsweise der Vorschlag eines „Nationalkomitees Freie DDR“, eine neue und noch höhere Mauer als „Schutzwall gegen Ausplünderung, Verarmung und Kolonisierung“ zu errichten, auch ein 15 Meter hoher Zaun als Erinnerung wurde abgelehnt. Derzeit werden vor allem zwei Varianten zur Kennzeichnung des ehemaligen Mauerverlaufs diskutiert: ein von Gerwin Zohlen empfohlenes Kupferband und eine von Angela Bohlen vorgeschlagene Betonintarsie.
Indessen sind die „echten“ Reste des einstigen Betonwalls als Denkmäler, Siegestrophäen, Spekulations- und Kunstobjekte oder Werbegeschenke in alle Winde verstreut. So ließ die letzte DDR- Regierung unter Ministerpräsident Lothar de Maizière (CDU) 300 Mauersegmente, 1,20 Meter breit und 3,60 Meter hoch, als Staatsgeschenke in aller Welt verteilen. Mit einem Mauerstück wurden die beiden früheren US-Präsidenten Ronald Reagan und George Bush bedacht. Selbst der Papst und der US-Geheimdienst CIA mußten nicht verzichten.
Die Spur der Steine führt unter anderem auch ins Business-Center „Grande Arche“ in Paris, in den deutschen Pavillon auf der Expo '92 in Sevilla, ins Janco-Dada-Museum im israelischen Ein Hod und in die John F. Kennedy Library in Boston. In Moskau gibt es ein Segment mit der Aufschrift „BER“ und im lettischen Riga eines mit der Bezeichnung „LIN“. Sogar an der Grenze des noch immer in Nord und Süd geteilten Korea wurde ein Teil der Berliner Mauer postiert.
Eine monegassische Millionärsgattin wollte einen Mauerabschnitt für ihren weitläufigen Park, da der Anblick des Betonstücks angeblich Depressionen heile. Gar nicht genug bekommen konnte offenbar ein Pole, der sich auf seinem Wiesengrundstück in Wroclaw (Breslau) mit nicht weniger als 50 bemalten Segmenten förmlich eingemauert hat.
Der größte Teil allerdings wurde zermahlen. 310.000 Tonnen des Betonwalls wanderten auf diese Weise als Baustoff in den Straßenbau der neuen Bundesländer. Wolf-Rüdiger Neurath/ADN
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