: Unerwünschte Notizen eines Ausgehöhlten
■ Der Journalist Erich Kuby hat eines der hellsichtigsten und ernüchterndsten Kriegsbücher geschrieben. Sein Tagebuch „Mein Krieg“ wird nun nicht mehr verlegt
1995, das „Gedenkjahr“, hat noch einmal einen Boom an „authentischer“ autobiographischer Erinnerungsliteratur gebracht. Die fiel mal landsermäßig aus wie Lothar Buchheims Kriegskolportage „Die Festung“, mal literarisch-reflektierend wie „Der Ernstfall“ von Dieter Wellershoff. Eines der hellsichtigsten und lesbarsten Bücher über Nazideutschland und seinen verbrecherischen Krieg ist jedoch ausgerechnet 1995 vom Markt verschwunden: Erich Kubys „Mein Krieg – Aufzeichnungen aus 2.129 Tagen“. Es sind Briefe, Tagebucheintragungen und Kalendernotizen, die der spätere Journalist Kuby zwischen 1939 und 1945 als degradierter Obergefreiter anfertigte – Tag für Tag.
Hier ist die Wehrmacht keinen Augenblick sauber, Plünderungen und Brandschatzungen werden beschrieben, auch die Bemerkung eines Artilleriesoldaten „Morgen ist wieder Schlachtefest!“ vom 25. März 1942. 180 Juden sollten in einer Mulde vor dem russischen Dorf Demidoff erschossen werden. Kuby bleibt nach diesem Satz nicht still, versucht sich „verständlich zu machen, ohne mich auszuliefern“. Vergebens. Nach drei Stunden Diskussion mit dem Artilleriesoldaten und zwei Unteroffizieren gibt er auf. „Ob ich die Juden verteidigen wolle“, wird er gefragt. „Als ich später bedachte, was ich gesagt hatte, lobte ich mich für alles, was ich nicht gesagt hatte.“
Erstmals in ihrer Gesamtheit als Buch veröffentlicht wurden die Aufzeichungen 1975 bei der Nymphenburger Verlagshandlung. Das brachte Kuby den immer wieder variierten Ehrentitel „Nestbeschmutzer von Rang“ (Heinrich Böll) ein. Neben klugen Einschätzungen findet sich in Kubys Notizen aber soviel Volksverachtung, daß es selbst Böll ungemütlich wurde: „Zynismus, Frivolität (und auch ein gut Teil Eitelkeit) sind als Tarnung eines äußerst empfindsamen Herzens zu verstehen. Sie werden nicht versteckt, eher ein bißchen zu sehr herausgekehrt.“
So notiert Kuby etwa am 25. September 1940, nachdem er aus Frankreich ins Brandenburgische bei Frankfurt/Oder versetzt wurde: „Die Zeit, in der die Leute noch auf Bäumen saßen, scheint viel näher zu sein als etwa in Avalon, ja, in Avalon kann man sich überhaupt nicht vorstellen, daß es dort überhaupt einmal keine Kulturlandschaft gegeben hätte. Hier, daß es jemals eine geben könnte.“ Seine Urteile über große deutsche Geister sind ähnlich erfrischend. Hans Carossa: „Sensibler Opportunist“. Thomas Mann: „Idiotische Töne“. Ernst Jünger: „Der Stoßtruppführer von 1916, der in den ,Marmorklippen‘ vorgibt, einige Haare in der heroischen Suppe gefunden zu haben.“
1977 erschien „Mein Krieg“ als Taschenbuch bei dtv. 1989 wurde das Buch noch einmal von Knesebeck, München, wiederaufgelegt. Da der kleine Verlag jedoch von 4.000 Stück nur 827 verkaufen konnte, kam „Mein Krieg“ Anfang 1995 in den Ramsch. „Wir waren begeistert von dem Buch, es war eine Überzeugungstat“, sagt Verlagschefin Rosemarie von dem Knesebeck heute, „aber es gab keinen Markt.“
Schade drum. Denn es ist immer wieder frappierend, wie scharfsinnig Kubys Analysen sind und wie frühzeitig er zu seinen Einsichten kam. Kaum glaublich manchmal, daß keine „nachträgliche Korrektur in welchem Sinne auch immer“ stattgefunden hat, wie Kuby im Vorwort betont. Schon am 4. September 1939 prognostiziert er: „Es wird lange dauern – sehr lange, glaube ich [...]. Wir können die anderen nicht erschöpfen, schlagen erst recht nicht; die anderen werden uns auch nicht schlagen, aber vielleicht können sie uns ,aushöhlen‘ – das dauert sehr lange. Polen ist ganz unwichtig.“
Das Erstaunlichste an diesem Buch ist aber, daß Kuby noch im Krieg versuchte, Teile seiner Aufzeichnungen, nämlich die vom Frankreichfeldzug, zu veröffentlichen – im Paul List Verlag, Leipzig. Kuby wollte das Manuskript durch die Zensur beim Oberkommando der Wehrmacht bringen. Doch dem OKW war es, obwohl bereinigt, viel zu unheroisch – und es enthielt eine Szene, in der Kuby Mineralwasser und Äpfel an französische Kriegsgefangene verteilt. Das Manuskript wurde „gesperrt“, Kuby degradiert und zur Strafe an die Ostfront versetzt.
Das Ende des Kriegs erlebt er im Westen, in Brest. In US-Gefangenschaft hat er die Sorge, daß die Amerikaner sich Illusionen über die Deutschen machen könnten. „Müssen wir sie nicht aufklären – die Amis?“ (9. November 1944) Erich Kuby hat sich nie Illusionen gemacht. Über die Zeit „danach“ notierte er am 18. Januar 1943: „Dieses Volk werde ich nie sicher an der Kette der Vernunft, ja auch nur an der Kette seiner eigenen wohlverstandenen (hierauf liegt der Ton!) Interessen sehen. Mein Mißtrauen gilt auch mir, weil ich voraussehe, daß ich dennoch glauben werde, es sei mit den Deutschen etwas zu machen – und das nicht aufgrund eines Restes von nationaler Solidarität, sondern in der Voraussicht, daß mir nichts anderes übrigbleiben wird. Totale Resignation oder die Erfahrungen von jetzt in den Wind schlagen – das ist eine erhebende Perspektive. Sie werden von Hitler reden statt über sich – ach die Armen!“ Hans-Hermann Kotte
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