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Zum Lammfilet Absurdes von Cohen

■ „Onomatopoeia II“, ein theatralisches Menü in sieben Gängen, im Labyrinth

„Tafeln wie Gott im Keller“ könnte das neue Programm im „Labyrinth“ auch heißen. Zehn Meter unter der Erde, in den Gewölben einer ehemaligen Likörfabrik am Kreuzberg, wird „Onomatopoeia II“ geboten. Fünf Lebenskünstler servieren surrealistische Texte von Henri Micheaux und Albert Cohen und vereinen sie mit einem delikaten 7-Gänge-Menü zu einem absurden Erlebnisabend.

Nach dem Apéritif wandeln die Besucher auf eine Stelzenempore, deren Zugänge von innen vermauert werden. Die Lichter erlöschen. Koch André rührt in einem Topf herum. Das Ei, das in der asiatischen Brühwürfelsuppe stocken soll, wird vorgestellt: „In diesem Ei sind meine Eltern und Kinder.“ Derweil zertrümmert weiter unten ein Dämon offenbar die Kücheneinrichtung. Das Personal schlürft die Suppe und lauscht dem Klirren. „Onomatopoeia“, Lautmalerei halt. Dann eine Detonation. Gustave, der Diener, hat eine Mauer eingetreten, mit der er zwei Meter tiefer im Nichts verschwindet. Die Gäste folgen zögernd.

Diffuses Licht fällt auf das Szenario mit dem Titel „Hors d'÷uvre composé“. Elisabeth, Gustave und Matenka in Frack und Pelz hocken hinter Kellergattern in drei kleinen Zellen. Wie im Zoo! Doch der Spieß wird umgedreht. Einzeln werden die hungrigen Besucher an die Gitter gewinkt, wo sie gefüttert werden: mit Avocadocreme auf Kräckern, Chicoree mit Joghurtsauce und gebackene Champignons. Begleitet vom säuselnden Sprechgesang Michauxs: „Marsmenschen sitzen in Kugeln. Die Kugeln sind zerstört.“

Olivier führt nun über eine Klappleiter durch ein Mauerloch in drei Metern Höhe. Noch nie war ein Essen so schwer verdient. Unter dem fünf Meter hohen Kellergewölbe ist eine lange Tafel für 20 Personen gedeckt. Zur Prosa Albert Cohens bereitet der gelernte Koch Jean Marie Boivin alias André ein meisterhaftes Menü. Fisch „secret“, dazu ein weißer Wein. Serviert auf dem Tablett Gustaves (Ralf Steikert), aus dessen kahlrasiertem Schädel ein Küken schlüpft. Assoziativ hüpfen Matenka (Dagmar Wienke) und Elisabeth (Nadja Schmidt) durch Michauxs surrealen Fundus. Zum exquisiten Lammfilet reicht Olivier (Thomas Henschel) Absurdes von Cohen. Und Rotwein. Leicht beschwingt weigert sich niemand mehr, in den zugeteilten Kleidern und Perücken, Hüten und Schminke zu verschwinden. Aus dieser absurden Welt in die Realität zurückzukehren fällt nach vier Stunden Fleisch, Bild und Ton gewordenem Surrealismus schwer. Andreas Kübler

„Onomatopoeia II“: dieses und nächstes Wochenende, Fr., Sa. und So. 21 Uhr. Labyrinth, Katzbachstraße 19, Kreuzberg

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