: Landesregierung im Praxistest
Top oder Flop? Für fünfzehn Senatoren und einen Regierenden Bürgermeister enden mit den Wahlen zum Abgeordnetenhaus am 22. Oktober fünf Jahre Dauertest. Sieben Männer und ein Indianerhäuptling sind versetzungsgefährdet. ■ Von Dirk Wildt
Eberhard Diepgen, 54, CDU, sollte sich öfter mal in Neuköllner Kneipen Dosenbier hinter die Binde kippen, statt in China Kommunistenhände und Pandapranken zu schütteln. Denn Volkes Stimme ist ihm fremd und unheimlich geblieben, obwohl er zum zweiten Mal das Amt des Regierenden Bürgermeisters ausübt. Dürfte der einzige Ministerpräsident sein, der manchmal Wahlen gewinnt, obwohl er Angst vor freier Rede hat und Zuhörer langweilt. War konfliktstark, als Heckelmann die Lohnerhöhung im Ostberliner öffentlichen Dienst verbockt hatte, und legte sich nicht nur mit ihm, sondern auch mit den sattgegessenen Altbundesländern an. Setzte gegen starke Widerstände in seiner Partei die Vereinigung mit Brandenburg durch, bereitete Berlin aber nur ungenügend auf die Fusion vor. So kommen als Aufgaben auf die kommende Regierung massive Einsparungen im Haushalt und ein drastischer Stellenbabbau zu. Blockierte wichtige Entscheidungen zur Zukunft der drei Flughäfen. Steht unter der Knute des CDU-Fraktionschefs Klaus-Rüdiger Landowsky und traute sich nicht, den lästigen Innensenator loszuwerden. Diepgen entmachtete Heckelmann nur beim Verfassungsschutz und der Verwaltungsreform. Der Regiermeister verlor seine Blässe – zeitweise auf Sylt. Wäre der ideale Lebensabschnittsgefährte für Ingrid Stahmer.
Bürgermeisterin Christine Bergmann, 55, SPD, hat fünf Jahre gebraucht, um ihren sächsischen Dialekt weitgehend zu verstecken. Die Senatorin für Arbeit legte dermaßen viele Förderprogramme für Klein- und Mittelstandsbetriebe auf, daß Bergmann den Wirtschaftssenator aus der eigenen Partei ersetzte. Nicht nur im Senat, auch zu Hause schlug sich die gelernte Apothekerin wacker: Immer wieder mußte sie die Schwächen der SPD gegen Angriffe ihrer beiden Kinder verteidigen. Bergmann zählt zu den bescheidensten Senatsmitgliedern. Mehr Einsatz als Frauensenatorin und mehr Presserummel hätten der Politikerin mit Sicherheit nicht geschadet.
Manfred Erhardt, 56, CDU, erledigte mit dem Abbau von 15.000 Studienplätzen die Schmutzarbeit des Senats. Insgeheim war die SPD froh darüber, beschwerte sich aber öffentlich über ihn. Der Wissenschaftssenator schreckte bei Sparverhandlungen mit den renitenten Universitäten nicht einmal davor zurück, mit Zwangsexmatrikulation zu drohen. Erhardt widerstand dem egoistischen Begehren der Freien Universität, die Humboldt-Uni abzuwickeln. War eigentlich gegen die Fusion von Rudolf-Virchow-Klinikum und Charité, gehorchte aber seiner Partei. Versäumte dabei, die Neubesetzung von Stellen zu stoppen. Der Senator zieht sich nach den Wahlen aus der Politik zurück.
Lore-Maria Peschel-Gutzeit, 62, SPD, ist als Nachfolgerin von Jutta Limbach, die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts wurde, erst seit eineinhalb Jahren im Amt. Fand sich sofort in den unübersichtlichen Gängen des Abgeordnetenhauses zurecht. Vereitelte Heckelmanns Versuch, die lästige Zuständigkeit für die Abschiebehaft an die „Neue“ im Justizressort loszuwerden. Bei ihrem Vorhaben, Spritzen im Knast durchzusetzen, und einer Bundesratsinitiative gegen Korruption zeigte die Hamburgerin, was mit hanseatischer Zurückhaltung möglich ist. Mit ihrem Blick für bundespolitische Fragen würde Peschel-Gutzeit einer rot-grünen Koalition zu Format verhelfen.
Herwig Haase, 50, CDU. Hat den Begriff Anarchie falsch verstanden und glaubt bis heute, Verkehr regelt sich am besten von selbst. Der Mut, folgerichtig alle Ampeln abzuschalten, fehlte dem feigen Pfeifenraucher allerdings. Er kürzte die Zuschüsse für die Verkehrsbetriebe um ein Drittel, ließ Busspuren schwarz überpinseln und klaute den Ostberlinern ihre Straßennamen. Ansonsten überließ er anderthalb Millionen Autofahrer, Tausende von Betonmischmaschinen und die Beamten seiner Verwaltung sich selbst. Hat auch von Luftverkehr und Schiffahrt keine Ahnung. Haase ist das beste und überzeugendste Argument für einen Regierungswechsel.
Volker Hassemer, 51, CDU, ist zusammen mit Diepgen der einzige CDU- Politiker im Senat, der vorwärtsdenken kann. Der Senator für Stadtentwicklung schaukelte maßgeblich den Regierungsumzug. Schraubte die Neubaupläne der Bundesregierung runter. Tütete als Umweltsenator federführend Stadt- und Verkehrsplanungen für die kommenden 20 Jahre ein, die das Ozonloch vergrößern und der Erde ordentlich einheizen werden. Unter ihm wurde Berlins wichtigste Veranstaltung, der Klimagipfel, zum Fiasko. Machte bei Arbeitszeitverkürzung ernst: Jeder seiner Mitarbeiter kann einen Teilzeitvertrag bekommen. Hassemer ist der einzige Senator mit wirklichem Charme.
Dieter Heckelmann, 58, CDU. Angeber, der bei jeder Gelegenheit mit den schweren Türen seines gepanzerten Dienstwagens knallt. Die Untersuchungsausschüsse zur kriminellen Polizeireserve und zum „Mykonos“-Attentat offenbarten Heckelmanns Desinteresse an den Amtsgeschäften eines Innensenators. Mit Pieroth und Luther faulstes Senatsmitglied. Setzte die Verwaltungsreform in den Sand. Er brachte mit seinem damaligen Sprecher und dessen Kontakten zu Rechtsradikalen die Große Koalition beinah zum Platzen. Diepgen mußte ihm den Verfassungsschutz wegnehmen. Heckelmann zählt zu den Gewinnern – weil er trotzdem am Drücker blieb.
Jürgen Klemann, 50, CDU, fiel in Monaco negativ auf. Während der Präsentation der Berliner Olympiabewerbung unterhielt sich der Schul- und Sportsenator lieber mit seinem Taschentelefon als mit Journalisten. In Berlin betrieb er Lobbyismus für drei luxusausgestattete Sportschulen, in denen sich Lehrer so intensiv um ihre Schützlinge kümmern können wie sonst nur in Behindertenschulen. Pennäler müssen unter ihm mehr Klassenarbeiten schreiben. Setzte das Landesschulamt durch, das bei einem Regierungswechsel sofort einpacken könnte. Einen von Rot- Grün gestarteten Modellversuch „Muttersprachlicher Unterricht“ ließ er ins Leere laufen – Klemann kann kein Türkisch.
Thomas Krüger, 36, SPD, erregte trotz unwichtigstem Ressort überdurchschnittlich viel Aufmerksamkeit. Der Jugendsenator fuhr mit einem Techno-Mobil durch die Bezirke, traf aber nicht jedesmal auf Anhänger seiner Politik. Mit seinem Nacktplakat zur Bundestagswahl wurde der Ossi bundesweit bekannt. Trat in Lichtenberg erfolglos gegen die PDS- Kandidatin Christa Luft an, sitzt dennoch seit November letzten Jahres im Bundestag. Mit Kreuzbergs Bürgermeister Peter Strieder schrieb er ein schwaches Papier zum Umgang mit der PDS und provozierte bei den eigenen Genossen heftige Debatten. War auf jeder taz-Fete zu sehen, ist aber immer noch Single.
Peter Luther, 53, CDU ist kein Politiker, sondern ein Phänomen. Obwohl er als Gesundheitssenator regelmäßig Hörfunk- und Fernsehinterviews gab, blieb er so gesichtslos, daß er selbst in der Eingangshalle der Charité von niemandem erkannt würde (Foto). Sollte sich unbedingt eine Wirbelsäule implantieren lassen, damit er bei Senatssitzungen nicht immer umfällt, wie etwa bei der Debatte um das Nichtrauchergesetz. Narben in Berlin sind länger als anderswo, weil Luther die Mikrochirurgie nicht wichtig nahm. Streitet lieber mit seinem Staatssekretär, der der eigentliche Senator war. Wichtige Aufgaben wie den Bettenabbau in Krankenhäusern erledigte nämlich der Mann im Hintergrund.
Norbert Meisner, 52, SPD, leidet stärker an Hexenschuß als an der Großen Koalition. Nach Nagel und Momper hat auch er nun die Grünen als potentiellen Partner ausgemacht. Das scheint aber mehr seinem Opportunismus geschuldet als seinem Bedürfnis nach Gesundheit oder umweltfreundlicher Politik. Er müßte bei einem Regierungswechsel jedenfalls eine Menge Öko-Leichen aus dem Weg räumen. So verzichtete der Wirtschaftssenator weitgehend auf energiesparende Daumenschrauben für die Bewag, setzt sich bis heute für einen schwachsinnigen Großflughafen in Sperenberg ein und findet Autobahnen toll. Will sich das Verkehrsressort unter den Nagel reißen.
Wolfgang Nagel, 50, SPD. Neben Peschel- Gutzeit und Hassemer der Senator, für den Politik mehr als die Verwaltung des Status quo bedeutet. Will den Regierungswechsel, weil er die Bündnisgrünen bei Ökologiefragen schätzt und ihnen beim Sparen mehr zutraut als der CDU. Der Bausenator machte sich im Kampf gegen die Öffnung des Brandenburger Tores für den Autoverkehr lächerlich. Ißt lieber mit Bauherrn, als Mieter vor diesen zu schützen. Hat keine Angst vor seinen Genossen, schraubte in dieser Legislaturperiode die Zahlen beim sozialen Wohnungsbau mit Billigmiete herunter. Würde auch deshalb ein rot- grünes Regierungsbündnis schweren Belastungsproben aussetzen.
Ulrich Roloff-Momin, 56, SPD-nah, trägt feinen italienischen Zwirn und hält seinen grauen Bart penetrant auf Dreitageslänge, um als Kultursenator zumindest optisch zu jeder Zeit auf TV-Auftritte vorbereitet zu sein. Zog den Zorn der Kulturgötter nicht nur auf sich, weil auch er sparen mußte, sondern seine Alleingänge mit niemandem absprach. Zuletzt kündigte er Güntzer als Leiter des Berliner Stadtmuseums an, obwohl der Senat jenen noch nicht berufen hatte. Wetterte gegen Bonn wegen der Kürzungen im Kulturetat, gab hinterher aber klein bei. Auch sein Verschulden, daß Berlin keine Medienstadt wurde. Einer seiner wenigen Erfolge: die Schließung des Schiller Theaters.
Elmar Pieroth, 61, CDU, will es immer allen recht machen und lieber mit Geldscheinen um sich werfen, als in den Etats von Kollegen herumzustreichen. Seine Haushaltsentwürfe waren kaum das Papier wert, auf dem sie standen. Der Entwurf für 1994 war eine Katastrophe, das Parlament mußte im laufenden Jahr mit einem „Nachtragshaushalt“ Tausende Titel kürzen. Unter Pieroth machte das Land wiederholt mehr Schulden, als es investierte. Machte im Bierzelt großes Trara um seinen 60. Geburtstag. Kann sich keine Zahlen merken. Durchsetzungsschwach und zu nett. Kann als Finanzsenator nicht weiterempfohlen werden.
Peter Radunski, 57, CDU, war Berlins stumpfe Speerspitze im fernen Bonn. Ihm gelang es nicht, den Regierungsumzug zügig in Gang zu setzen. Versäumte, sich um Bonner Wohnungen für umziehende Berliner Beamte zu kümmern. Für einen zwei Meter großen Bundeskanzler war der Bundessenator einfach zu klein. Nahm Waigel den Rotstift nicht weg, mit dem der Finanzminister gierig Bundesgelder für Berlin kürzte. Radunski managt aber schon wieder den Wahlkampf für Diepgen und dessen Provinzpartei. Der 68er gibt sich Mühe, die Christdemokraten zu modernisieren. Seine beste Idee: auf CDU-Plakaten keine Köpfe mehr zeigen.
Ingrid Stahmer, 52, SPD, verhinderte drastische Einschnitte im Etat der Sozialverwaltung trotz der dramatischen Haushaltslage. Der Telebus, eine stattliche Taxe für Behinderte, fährt und fährt und fährt, nur weil es Frau Stahmer gibt. Unterschätzte die Schwierigkeiten bei der Einführung der Pflegeversicherung. Rettete zwar das Pflegegeld für Behinderte, kümmerte sich aber erst spät um Taschengeld für Asylbewerber. In die Kritik geriet Stahmer erst, nachdem sie im Februar bei einer Urwahl Spitzenkandidatin der SPD wurde. Als Wahlkämpferin bislang einfallslos. Der geniale Mediencoup mit einem Magen- Darm-Virus war nicht ihre Idee.
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