: Vorschlag
■ „Ruzzante“ nach Dario Fo im Theater am Halleschen Ufer
Dichtergespräche im Elysium: „Du hast von mir abgeschrieben!“ – „Unerhört! Ich habe nie abgeschrieben!“ Während in einer Ecke der große Plagiator Brecht von Gay und Pepusch verhauen wird, zanken sich Shakespeare und Molière mit einem, der älter ist als sie alle: Ruzzante. Im frühen 16. Jahrhundert erfand der italienische Schauspieler Angelo Beolco die Figur des Ruzzante, des „Scherzenden“, die zur Rolle seines Lebens wurde. Der unverschämte Witzbold ist eine Art Großvater des Arlecchino der Commedia dell'arte, ein Charakter, der munter durch die Weltliteratur geistert. Mögen sie ihn doch alle kopieren, wenn er nur nicht vergessen wird! Findet der entrückte Beolco. Und lobt gerührt Alberto Fortuzzi: „Ah, er ist lieb, er wird einen Stoff von mir spielen!“
Der Schauspieler, Regisseur, Autor und Schauspiellehrer Fortuzzi ist Spezialist für die Commedia dell'arte und für die Kunst des Stegreifspiels. Vor drei Jahren schlüpfte er in die Rolle des Komödianten Biancolelli, der sich mit dem Sonnenkönig einen „Lazzo mortale“ (tödlichen Scherz) erlaubte. Jetzt hat Fortuzzi eine Improvisationsvorlage von Dario Fo über Ruzzante und dessen Autor bearbeitet. „Ruzzante“ ist also eine Improvisation über eine Improvisation über Improvisationsspiel.
Fortuzzi legt ein solches Tempo vor, daß die einzelnen Ebenen fast ununterscheidbar durcheinanderwirbeln. Schwungvolle italienische Gesten begleiten einen wasserfallartigen Redeschwall. Fortuzzi stolziert lässig mit Zigarillo einher, läßt die Augenbrauen skeptisch tanzen und zieht einen verdrießlichen Mund: „Ich habe alles verloren, die Bühne, die Subventionen ... Das Publikum wirft brennende Holzscheite auf uns!“ Der Schöpfer des Ruzzante scheint ein ebensolcher Unglücksrabe zu sein wie sein Geschöpf, aber er ist auch ebenso charmant und unverwüstlich optimistisch: „Wir spielen weiter!“ Mühelos gelingt es Fortuzzi, mehrere Personen gleichzeitig zu verkörpern, ja sogar sich selbst mit Fußtritten zu traktieren. Mit wenigen wieselflinken Gesten zaubert er Kriegsszenen, Liebesspiele und Prügeleien auf das leere Holzpodest.
Ruzzante trägt die traditionelle Ledermaske der Commedia dell'arte. Als Frontschwein steht er zwischen Schlachtfeld und Latrine, wirbt später vergeblich um eine zänkische Frau und bezieht obendrein noch Prügel. „Das waren mindestens 30 Männer!“ prahlt er dummschlau. Plötzlich aber schaltet sich der Autor Beolco ein: Er selbst will seine Figur verkörpern – ohne Maske. Im Nu schnappt er sich eine Zuschauerin: „Bitte, spielen sie eine Liebesszene mit mir ... Es ist für mich schon 400 Jahre her ...“ Und so wird der Dichter im Elysium doch noch glücklich. Miriam Hoffmeyer
Heute und 25.8., 1.9.,2.9.,15.9., 16.9., 29.9. und 30.9. jeweils 23 Uhr, Theater am Halleschen Ufer, Kreuzberg
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