: "Für einen Boykott ist es zu spät"
■ Am Sonntag fahren etwa 120 Frauen von Berlin aus mit der Bahn zur Weltfrauenkonferenz nach Peking. Schikanen bei der Visavergabe sollen sie von Kritik an der Situation in China nicht abhalten
„Boykott“, sagen die einen. „Nicht einschüchtern lassen“, die anderen. Die 4. UN-Weltfrauenkonferenz, die am 4. September in Peking eröffnet wird, ist umstritten. Debatten hin oder her – die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Eine der spektakulärsten Aktionen startet dieses Wochenende in Berlin: 150 Frauen aus über 20 Ländern wollen mit dem Zug nach China fahren. Heute nachmittag kommt der Zug mit 55 Frauen aus Paris an, Sonntag fährt er weiter in Richtung Polen. Etwa 70 Frauen aus ganz Europa, aber auch aus den USA und aus Afrika werden in Berlin einsteigen, in Warschau und Moskau kommen noch mal 25 Aktivistinnen dazu.
„Ursprünglich war das eine ganz persönliche Idee von mir“, sagt Maya Salvado-Ferrer. Die 29jährige Bildhauerin, die in Spanien geboren ist und in Paris wohnt, hat sich das Projekt „Femmes en train pour Pekin – Frauen im Zug unterwegs nach Peking“ ausgedacht. In China hat sie zwei Jahre gelebt, außerdem fährt sie gern Zug, besonders mit der Transsibirischen Eisenbahn. Und in Sachen Feminismus ist sie sowieso schon lange unterwegs. „Wir wollen so vielen Frauen wie möglich Zugang zur Konferenz verschaffen und ihnen eine Stimme geben“, umreißt sie das Ziel der Aktion. In Moskau wartet ein eigens gecharterter Zug der Transsibirischen Eisenbahn auf die Konferenzteilnehmerinnen: fünf Waggons mit Liegewagen, Restaurants und Konferenzräumen, dazu eine Notärztin, zwei Krankenschwestern, fünf Dolmetscherinnen und eine Bibliothekarin, die 400 mitgebrachte Bücher verwaltet. „Es wird gebeten, unterwegs nicht zu gebären“, hieß es in einem Rundschreiben an die Teilnehmerinnen.
Doch die werden anderes zu tun haben. Zehn Tage lang beraten sie in Arbeitsgruppen, wie und was in Peking diskutiert wird. Die Themenpalette reicht von Entwicklungspolitik und Ökologie bis zu Armut, Gewalt und Menschenrechten. Immer wieder wird es darum gehen, wie auf Repressionen der chinesischen Regierung reagiert wird, wo Proteste möglich sind, wie ausgeschlossene Gruppen angemessen vertreten werden können. „Glücklich über den Standort der Konferenz ist von uns niemand“, sagt Gudrun Defrenne von amnesty international. „Aber wenn wir wegbleiben, tun wir der chinesischen Regierung den allergrößten Gefallen. Und für einen Boykott ist es zu spät.“
Ann Stafford sieht eher die praktische Seite. „Frauen mit den Mitteln moderner Massenkommunikation zu vernetzen und Kontakte zwischen Gruppen aus allen Erdteilen herzustellen“, das ist für sie der Sinn der Unternehmung. Und natürlich geht es auch um die Reise selbst. Wie bei den Agitprop-Zügen im revolutionären Rußland darf auch die Wirkung aufs Publikum nicht zu kurz kommen. Immer wenn neue Frauen zusteigen, gibt es eine Pressekonferenz mit lokalen Projektgruppen.
Mit an Bord sind außerdem eine komplette Videoausrüstung und einige PCs. „Unsere Finanzen“, erklärt Maya Salvado-Ferrer, „sind immer noch ein großes Handikap.“ 144 internationale Organisationen unterstützen die Fahrt nach Peking – verbal. Wenn es um Geldüberweisungen geht, ist die Begeisterung allerdings oft schnell verflogen. 500.000 Franc, also etwa 150.000 Mark, wird das Unternehmen noch kosten. Doch nicht einmal die Hälfte davon konnten die Französinnen bisher an Spenden lockermachen. Auch in der Kasse der deutschen Teilnehmerinnen gähnt noch ein tiefes Loch, obwohl die Reisenden pro Kopf fast 5.000 Mark hinlegen. Für die Vorbereitung in Berlin haben Dörte Segebart und Claudia Mayer knapp 7.000 Mark zusammengekratzt, etwa 4.000 Mark fehlen noch.
Unklar ist auch, wer genau am Sonntag nachmittag in den Zug am Hauptbahnhof klettern wird. Denn etliche Teilnehmerinnen haben bis jetzt noch kein Visum. Und während die Frauen schon ihre Koffer packen, spielen die chinesischen Behörden auf Zeit. Mit undurchsichtigen Begründungen werden in letzter Minute Einreiseanträge abgelehnt, Pässe verbummelt oder Hotelreservierungen gestrichen. „Reine Schikane“, sagt Ingrid Klebon von der Berliner Aktionsgruppe. Koordinatorin Alexandra Wandl hat inzwischen den Eindruck, daß auch die UNO die Aktivistinnen blockiert: „Entweder die sind total überfordert, oder sie wollen die Frauen der Nichtregierungsorganisationen nicht in Peking dabeihaben.“
Wasser auf die Mühlen der Boykott-Befürworterinnen. Am 6. September werden sie gegen Zensur und Repressionen bei der Pekinger Konferenz protestieren. Ihre Devise: „Zu Hause bleiben und die Welt verändern!“ Constanze v. Bullion
Heute abend Open-air-Party im Innenhof der HUB
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