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Und täglich grüßt der Bofrostmann

■ taz-Heimatkunde (7 ): Posthausen bzw. dodenhof/ 1800 MitarbeiterInnen der Einkaufsstadt sorgen sich um 1483 PosthausenerInnen Von Susanne Raubold und Alexander Musik

Es begab sich zu der Zeit, als Kolonialwaren aus Deutsch-Südwest stammten und der Landhandel blühte, daß ein gewisser Hermann Dodenhof dem Gewerbe alle Ehre machte, 1910 die Branche um einen „Landhandel für Oberbekleidung“ bereicherte und, den Musterkoffer in der Hand, nicht zuletzt dem schnuckeligen Weiler Posthausen seine Ware andiente. Hermann Dodenhof: der Bauchladen, der alles hat. Die Brisanz des Hermannschen Sortiments hat sich vermutlich jedem Vergleich entzogen und verlangt nach großen Worten: Revolution im Hemdbrust- und Hosenträgermarktsegment. Glanz und Gloria für Vatermördermode, ungeahnte Fliegenvarianten. Gewagteste Manschettenknöpfe. Die Revolution fraß ausnahmsweise mal nicht ihre Kinder, sondern gebar 80.000 Quadratmeter Gewerbefläche, eine Flotte aus 100 unermüdlichen 38-Tonnern und 4.500 Parkplätze. Umsonst und draußen.

Was bliebe heute übrig, wenn man dodenhof von Posthausen abzöge? 1438 Posthausener, arbeitslos, vergrämt, tödlich gelangweilt. Alles, was die brave Bevölkerung den Touristen jenseits von dodenhof bieten kann, ist z.B. dies hier: Biskin-Öl für zwo neunundachtzig die Flasche. Erhältlich beim örtlichen „Gutkauf“, dem Laden mit den vor Neid gegenüber den Konkurrenz-Preisen erblaßten Sonderangebots-Plakaten. Cowboy-Dienstleister gibt's natürlich auch: „Düvelsdorf: Melken – Kühlen – Füttern“. Und täglich grüßt der „Bofrost“-Mann. Und hinterläßt eine lange Staubfahne in der weiten Landschaft, die von Schaffellverkauf und mächtigen Findlingen erzählt. Vereinsamte Landfrauen zählen, wenn der Bauer auf der Scholle tuckert, die Stunden, bis der Mann mit dem Tiefkühlauto kommt und erzählt. Was so alles in Ottersberg läuft. Und wenn er gut drauf ist, wird er vielleicht sogar news aus Verden rauslassen. Bevor er die legendäre 2,5 Kilo-Waldpilz-Mischung in die Truhe packt. Wie kriegen die bloß dieses durchdringende Wald und Boden-Aroma in die Tiefkühltüte, fragt sich, Mal um Mal, die Bäuerin. Doch zu diesem Thema sind des Bofrostmannes Lippen – Mal um Mal – versiegelt.

Was hilft gegen Posthausener Identitätskrisen, ausgelöst durch den geordneten Rückzug der Gemeindeverwaltung, die sich 1972 nach Ottersberg verzog und jetzt auch noch die wöchentlich einstündige Beratung durch eine Ottersberger Amtsperson strich. Posthausener, die einen Reisepaß beantragen, müssen also ins ferne Ottersberg. Doch plötzlich ist die Vermutung da und lastet schwer: Posthausener beantragen überhaupt keinen Reisepaß. Denn dodenhof ersetzt die schönsten Erlebnisreisen; die „Einkaufsstadt, die alles hat“ läßt keine Wünsche offen – öko muß man das nennen. Unzählige potentielle Billigflieger bleiben am Boden. Vielleicht hilft ja gegen Identitätsfrust die grandiose Dorfstraßenüberbauung, womit der Familienbetrieb mit 1800 Mitarbeitern deutlich macht, daß er 1800 Mitarbeiter hat – und expandiert. Es sollen Stimmen laut geworden sein, sagt Dieter Cossen vom Bauamt Ottersdorf, daß dodenhofs Expansionsdrang zuviel Fläche versiegele. Querulanten und Öko-Spinner von außerhalb, sicherlich. Schließlich „arbeitet in jeder Posthausener Familie einer bei uns“, so dodenhof-Pressemann Bernd Chylla. Der Erfolg des Unternehmens: Bescheidenheit. Tue Gutes und rede nicht darüber! könnte die Unternehmensphilosophie lauten. Das Heimathaus hat man „mit einem namhaften Betrag“ unterstützt, ein Park neben dem Friedhof ist geplant. Was soll ein Park mitten in der Natur? Sinnvoller wären mehr Parkplätze. Sonst wandern noch die Landeier ab. „Zu uns kommen viele, die sich mit dem Auto nicht in die Stadt trauen.“

Dodenhof duldet nicht, daß seine Besucher Hungers leiden oder schwitzen. Die Freizeit-Shorts „Florida“, Größe XXL, verkauft sich konsequenterweise gut. (Brauchen Sie nich' einpacken, ich zieh's gleich an!) Steht jedem. Sie: „Das trägt man jetzt!“ Er: „Meinst Du?“ Sie: „Na, kloar!“ Unästhetische Sättigungsbeilage: Tennissocken mit sportivem Ringelmuster und haselnußbraune Sandalen. Bauchenden Zeitgenossen und -genossinnen hilft der Florida-Gummizug. Null problemo. Was Cäsar mit dodenhof gemein hat: Laßt Dicke um mich sein! (Keiner kann im übrigen beweisen, ob die Aggressionen gegen deutsche Touristen in Florida nicht auch auf unsachgerechten Umgang mit der farbenfrohen Textilie zurückzuführen sind.) Uff, aber heiß ist es. Die ambient music-Beschallung drinnen und draußen spendet keinen Schatten. Aber ein Partyzelt schon. Der Nachbar hat's schon und sein Nachbar auch. Sonnenschirme sind tot, es leben die „Pavillons“. Wohlfühlpreis:149 Mark bei Mitnahme. Haben Sie das? „Ja, aber nur 3x3 Meter.“ Klingt nach Benachteiligung sozial schwacher Großfamilien. Quo vadis, dodenhof? „3x4 Meter ist aus.“

Uff, nochmal, die Fahrstühle sind aus Glas und sehr beliebt, aber nicht klimatisiert. Alle gucken auf die Bett- und Wohnland-schaften, die sich in den Etagen stapeln. Für jeden Geschmack ist etwas dabei, wer gar keinen hat, dem kann geholfen werden. Wir kommen wieder, steht in aller Augen geschrieben. Duftmarken werden gegen das Vergessen gesetzt. Und als Revierabgrenzung. Ist Verdauung denn was Schlechtes? Ein Misthaufen stinkt schließlich auch!

Hunger verboten: also Supermarkt. Und jetzt spielt dodenhof seinen größten Trumpf aus. „Haste mal 'ne Mark?!“ Laß stecken. Keine Pfandmünze, keine verketteten Einkaufswagen. Möllemanns „pfiffige Idee“ ist bei dodenhof gegenstandslos. Was für ein Gefühl, wenn sich der Wagen willig aus der Schlange löst. Gleich nochmal. Allein das lohnt die Reise.

Motoröle gibt's viel, vielleicht mehr als Salatöl. Kein Himbeeressig, keine Experimente. Zum Sattwerden reicht's allemal. Dafür gibt's Autofelle, Sonderposten, Sprüche-T-Shirts (9,90 Mark) die Masse: „Gefahr, Lebensgefahr, Lebensgefährtin“; „Investieren Sie in Alkohol. Wo sonst bekommen Sie 40 Prozent?“; „Sex Instructor – first lesson free“. Darauf einen Busengrabscher!

„Bei uns sind die Mitarbeiter noch Menschen und keine Nummern“, sagt Pressesprecher Bernd Chylla. In der Praxis geht das so: Auftritt „Wein aus dem Burgenland“-Propagandist, ein Mann im „besten“ Alter: „Früher hatte ich immer Sodbrennen, wenn ich eine Flasche Wein intus hatte. Aber bei dem ist das nicht.“ Auch dumme Fragen sind herzlich willkommen und befeuern die Auskunftsbereitschaft. Etwa des Gartenmöbel-Spezialisten: „Lasieren, nicht lackieren. Das ist ein Riesenunterschied. „Bedingt wetterfest“, das sagen wir unseren Kunden ganz ehrlich, damit sie sich nicht wundern, daß der Gartentisch nach einem Jahr im Freien wie eine Badewanne aussieht. Entweder Sie nehmen Teakholz, das 10mal so teuer ist oder Sie stellen die Bank doch in die Garage, wenn's regnet.“ Aha. Da nehmen wir doch lieber die Hängematte, die über ihrem eigenen Gestell baumelt. Clever, wie dodenhof klassische Entfremdungstheorien und moderne Wohnhausarchitektur mit Produktneuheiten kontert: Nicht jeder verfügt über den Garten hinterm Haus mit altem Baumbestand, noch weniger über zwei Laubträger im Wohnzimmer. Also wird zeitgemäß gebaumelt, das Bacardi-Feeling sorgt nach dem zweiten Glas für das Rest-Ambiente.

Ab acht Uhr abends werden die Schatten länger auf dem dodenhof-Parkplatz, nicht nur am Donnerstag. Der Wagen steht auf Abschnitt Zitrone A. Auch die Autos sind keine Nummern bei Herm. Dodenhof Nachf. Auf dem Karussel vor dem neuen Haus 5 (Modehaus) wirbeln noch ein paar Kids. Die junge Camping-Verkäuferin im bemerkenswert dezenten Outfit huscht nachdenklich bei der „Bratwurst-Station“ vorbei: Soll ich denn hier alt werden? Muschawohl. Es gibt ja immerhin ein Leben nach dodenhof. Und das heißt Heimatverein Posthausen. Hier ging unlängst die Post ab. Am 12. zum Buschfest, am 16. zum Preisdoppelkopf, am 19. zum Backofenfest (vgl. Glossar und Interview). Eintritt frei, Identität inklusive. Dodenhof unterstützt diskret derlei Identitätsbestrebungen.

Sonst steht das frisch restaurierte Fachwerkhaus nur Geistern offen. Hermann Dodenhof soll hier umgehen. Der gute Geist von Posthausen. Keiner braucht vor ihm Angst zu haben. Eingeweihten verrät er, wie man schneller zu dodenhof kommt. Statt der Autobahnabfahrt Posthausen nimmt man einfach, psst, die Raststätte Langwedel. Der Mann hat den Bogen raus.

Glossar

Buschfest, das: Wo getrunken und gegessen wird, wird die Verdauung angeregt. So auf dem B. Da in den Anfängen des B. noch nicht für öffentl. Bedürfnisanstalten gesorgt war, mußten die zahlreichen umliegenden Büsche herhalten. Das B. hatte seinen Namen.

Preisdoppelkopf (auch Fleischdoppelkopf), das: Bes. im ländlichen Raum beliebtes Kartenspiel für 2x2 Personen, die im Spielverlauf subtil Allianzen eingehen. Trophäen gern in Form von Mastgänsen oder Schinkenhälften.

Backofenfest, das: HobbybäckerInnen des Ortsteils Posthausen stellen Butterkuchen her, der anschließend gemeinsam verzehrt wird, was das B. ergibt.

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