: Pennende Leos fehlen
■ Nach dem etwas miserablen Test-2:1 gegen Belgien will Bundestrainer Berti Vogts seine Arbeiter das Arbeiten lehren
Berti Vogts (48) ist Bundestrainer. Mittlerweile im sechsten Jahr guckt er sich die Spiele der deutschen Kicker aus diesen kleinen Guckkästchen am Spielfeldrand an. Mag sein, daß sich von dort vieles anders darstellt. Mag auch sein, daß es sein gutes Recht ist, gesehen haben zu wollen, was er sehen will. Es ist auch unbestritten, daß des Bundestrainers Konzentration mikroskopischen Fortschritten gelten muß. Die kleinen Dinge, das wissen auch wir mittlerweile, sind es, die in der Addition ein Spiel entscheiden!
Das hat der 2:1-Sieg in Brüssel schließlich einmal mehr unwiederleglich bewiesen. Ein kleines Ding hier, doch deren zwei dort – der Sieger heißt Deutschland. „Das ein oder andere, was sehenswert war“, hat Vogts dabei auch noch gesehen. Prima! Was das war, mag sein Geheimnis sein. Nicht zuviel verraten, Feind hört mit! Am 6. September geht es schließlich in der EM- Qualifikation gegen Georgien. Von dem Spiel hängt dann wirklich Wichtiges ab, außerdem auch Vogts' nähere Zukunft. Ein Sieg muß dringend her. Und um eine Ahnung zu erschließen, wie das zu bewerkstelligen sein könnte, ist Vogts ins König-Baudouin-Stadion gezogen. Nur deshalb. Nun weiß er, und das ist das Positive an der ganzen Sache, zumindest schon mal, wie es eigentlich nicht geht.
„Wir haben den Gegner aufgebaut“, hat Vogts sehen müssen. 1:0 geführt (Möller), und dann, sagte reuevoll Knecht Kohler, „habe ich ein bißchen gepennt“, Gegenspieler Goossens jedoch nicht. Ob den mittlerweile permanenten Rekonvaleszenten Kohler physische oder mentale Probleme am zügigen Grätschen hinderten, verriet der Hilfskapitän nicht. Nur soviel: „Wir haben gewisse Abstimmungsprobleme, ganz klar.“ Dies nun nicht allein mit dem sog. Libero Helmer. Insbesondere zwischen den Mannschaftsteilen haperte es. Mutmaßlich an Verständnis. Aber eigentlich ist zu fürchten: auch an Grundsätzlichem.
Es konkurriert, dies ist nicht neu, im Fußball stets das Arbeitsmotiv mit dem Spielmotiv. Und wenn Vogts über „gewisse Dinge“ moserte, über die „zu reden sein wird“, so meint der gelernte Außenverteidiger selbstredend sogenannte „Lässigkeiten“ und „Vertändeleien“. Soll heißen: Arbeitsdefekte. Anderen aber, die womöglich reichlich naiv auch das Unterhaltungsprinzip berücksichtigt sehen mögen, gibt nun wieder anderes zu denken. Das Arbeitsmotiv der mit sieben Malochern angetretenen Kolonne dominiert dermaßen, daß selbst der Spieltrieb eines Mario Basler bis auf wenige Momente verkümmert. Einmal bereitete er technisch erstaunlich das 1:0 Möllers vor, einige andere Male verpuffte seine Klasse, weil sich keiner fand, der die Aktion hätte fortsetzen mögen.
Andreas Möller? „Man hat gesehen, wie gut er hinter den Spitzen agieren kann“, sagte der den Zehn Geboten verbundene Vogts, ohne rot zu werden. Was man sah, war einzig die schon sprichwörtliche Fairneß Möllers, der einen seltsamen Handelfmeter nutzte, um einen neuen Rekord im Hoch- übers-Tor-Knallen aufzustellen. Gewitzte Erklärung Möllers: Man habe ihn mittels Verbalfinte, den ihn im Nacken ereilenden Ausruf „Leo“ nämlich, „irritiert“.
Nun fehlten nicht nur bei den hauptsächlich mit Lüttichern angetretenen Belgiern die Anderlecht- Akteure, sondern auch dem DFB der eine oder andere Fußballer. Doch wer, der – in Addition mit Basler – einen Unterschied machen könnte? Sammer? Ist sowieso gesperrt (wie auch Kollege Reuter). Herrlich, Weber? Kaum. Ziege? Womöglich. Und... Klinsmann! „Ich bin voller Hoffnung“, sagt Vogts, „daß Jürgen spielen kann.“ Wenn der Verletzte zuvor „mindestens ein Spiel“ (Vogts) absolviert haben sollte. Ein Freund weniger, ein Guter mehr, das könnte die Sache voranbringen.
Gesetzt den Fall, die Arbeiter werden wieder zu Facharbeitern. Andreas Köpke, der die Malaise von hinten beobachtete und ein-, zweimal auch ausbügelte, wird zwar beim Gedanken an Nürnberg „nicht angst und bang“, aber womöglich bang und angst? „Daß wir diese sogenannten Fehler nicht machen dürfen“, sagt Vogts weise, „das weiß ich.“ Heißt: Wenn schon nicht lustvoll gespielt werden kann, so muß das Arbeiten wieder eine Lust werden. Insbesondere Kapitän Kohler sollte sich da die Kollegen Helmer und Babbel zum Vorbild nehmen. Aber, oh weh, da ist noch viel Arbeit zu leisten. „Man hat heute gesehen: Wir wollten gewinnen“, sprach ungerührt der rätselhafte Exil-Mannheimer, „und so müssen wir auch gegen Georgien spielen!“ Himmel hilf! Das Ende naht. Peter Unfried
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