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"Blavatzkys Kinder" - Teil 36 (Krimi)

Teil 36

„Was willst du trinken?“

„Wein.“

„Hier.“

„Danke.“ Sie nahm das Glas. „Ich habe neue Informationen.“

„Und ich habe mich den ganzen Tag auf dich gefreut“, sagte Robert.

Verdammt, dachte Miriam, wie soll ich darauf reagieren?

* * *

Der Reiter verließ den Wald. Der Mann, der in der Senke wartete, sah ihn deutlich. Es war kurz nach sieben Uhr morgens. Der Mann nahm das Gewehr.

Reuter sah zum Horizont. Die Müdigkeit saß ihm noch in den Knochen. Nicht viel mehr als zwei Stunden Schlaf. Was für ein schöner Morgen. Der erste Schuß traf in die Lunge. Reuter rutschte vom Sattel. Das Tier bäumte und jagte davon. Reuter stützte sich mühsam auf den rechten Ellenbogen und hob den Kopf. Er wollte Bob noch anrufen. Der nächste Schuß traf ihn in den Kopf.

„In der Nähe von Cham wurde heute morgen ein Frankfurter Bankier tot aufgefunden ...“ Paul wandte seinen Kopf dem Radio zu.

„... die Polizei vermutet einen Jagdunfall. Zwei Kugeln trafen das Opfer.“

Die Gummibärchen fielen auf den Boden. Paul fluchte. Es wurde ernst. Er ging ins Bad und hielt seinen Kopf unter das kalte Wasser. Er mußte Miriam anrufen. Er wählte ihre Nummer. Niemand nahm ab. Offensichtlich war sie schon unterwegs. Sie wollte nach Hamburg. Zu Robert. Wie hieß der mit Nachnamen? Keine Ahnung. Wo war der verdammte Zettel mit Roberts Telefonnummer? Er erinnerte sich, ihn in ein Buch gesteckt zu haben. Verdammte Schlamperei. Überall lagen Bücher. Er wühlte auf dem Tisch, räumte die Regale aus. Schließlich fand er den Zettel, zusammengerollt in einem Blumentopf. Er wählte. Niemand nahm ab.

„Total rückständig. Nicht mal einen Anrufbeantworter. Mit wem zieht die da bloß rum?“

Paul lief auf und ab und wußte nicht, was er machen sollte. „Reg dich ab“, ermahnte er sich. „Du kannst im Augenblick gar nichts unternehmen. Konzentrier dich.“ Er legte sich aufs Bett und überlegte lange.

Irgendwann wurde ihm klar, was er zu tun hatte. Es würde eine lange Nacht werden. Er setzte sich an den Computer und begann mit der Eingabe.

Paul faßte knapp und präzise zusammen, was geschehen war. Er nannte Namen und konkrete Daten. Sein Bericht umfaßte mehr als siebzigtausend Zeichen. Er verschlüsselte ihn mit einem selbst entwickelten Programm, mit dem auch der bester Hacker-Kollege seine Probleme haben würde. Er sandte den unlesbaren Bericht über komplizierte Wege an eine Mailbox in Finnland, von der andere üblicherweise nur Spiele und Shareware bezogen. Seine Datei schleppte ein raffiniertes Programm mit sich, das alle zwei Tage bis Mitternacht mit einer bestimmten Nachricht gefüttert werden mußte. Wartete das Programm vergeblich, schaltete es die eingebaute Sicherung ein. Nun konnte es nur noch gebremst werden, wenn jemand auch die zweite Nachricht kannte und spätestens bis Mitternacht des dritten Tages absandte. Wenn sie falsch war oder ausblieb, würde Pauls elektronisches Testament über einen ausgetüftelten Verteiler in alle Welt gehen. Niemand konnte dann noch verhindern, daß die Geheimnisse des Lebenshofes Gegenstand öffentlichen Interesses wurden.

Die Nachricht würde die Adressaten verschlüsselt erreichen. Die Empfänger mußten Paßworte eingeben und den Text entschlüsseln. Der Kreis der Empfänger war nicht groß. Fünfzehn Personen. Sie waren in der ganzen Welt verteilt und hatten sich nur ein einziges Mal persönlich getroffen. Sie würden wissen, was zu tun wäre.

* * *

„Sind Sie Paul Sarkowsky?“ Paul zuckte zusammen. Auf dem Bürgersteig stand plötzlich ein Mann, größer und breiter als er selbst. Sonderbar, er hatte gar keine Schritte gehört. Der Mann mußte auf ihn gewartet haben.

„Wer will das wissen?“

„Sind Sie Paul Sarkowsky?“

„Nein“, sagte er schnell und ahnte die Gefahr.

„Doch.“

Der Mann hob den Arm. Eine Pistole. Warum ist der Lauf so lang? Etwas knallte gegen seinen Kopf. Er verlor das Bewußtsein. Der Fremde zog den Schalldämpfer ab und verstaute seine Waffe in seinem Mantel. Dann faßte er sein Opfer unter die Achseln und zerrte ihn in den Vorgarten hinter die Mülltonnen. Er fühlte keinen Puls mehr.

* * *

„Es ist nicht mehr zu ertragen. Sollen sie ihren Scheiß doch allein machen.“

Drabert kam aus dem Konferenzsaal und knallte die Tür hinter sich zu. Sein zorniger Gesichtsausdruck wich einem breiten Grinsen.

„Hallo, Robert, wer hat dich denn hier raufgelassen?“

„Miriam gefiel die Möblierung im Wartezimmer nicht.“

„Wem?“

„Da kommt sie.“

Eine große, dunkelhaarige Frau in Jeans und Turnschuhen schlurfte den Flur entlang.

Miriam sah Drabert an. Ein Bulle mit menschlichen Augen. Immerhin. Ein mittelgroßer, ziemlich kräftiger Mann. Bart, große Nase, rötliche Haut. Nicht dick, aber einen sichtbaren Bauch. Nachlässig gekleidet, die Krawatte ein Ausdruck der Verzweiflung, halb gelöst und zerknautscht.

„Wer sind Sie überhaupt?“ fragte Miriam, als sie das Gebäude verließen.

„Ich war der Liebhaber von Roberts Mutter, bevor sie vor ihrer Familie nach Schottland Reißaus nahm“, gestand Drabert.

„Privat sind selbst Bullen manchmal Menschen. Warum sollte ich Ihnen trauen?“

Fortsetzung folgt

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