: Bella Italia im KZ?
■ Mit einer großen Ausstellung widmet sich die Akademie der Künste deutschen Emigranten im faschistischen Italien. Eine durchaus zwiespältige Angelegenheit
Auberginen haben ein herrliches, festes Fleisch und den tuftendsten Wohlgeschmack. Und die Peperoni... Ganz mild und von köstlichem Aroma!“ Ordentlich sind die Sätze auf einen blütenweißen Briefbogen getippt. Ein vergnügter Gruß aus dem Italienurlaub? – Nicht ganz. Unter der Glasvitrine liegt ein Brief des Schriftstellers Karl Wolfskehl an seine Frau Hanna, abgeschickt im August 1936. Wolfskehl war Zionist, hatte 1933 bei seiner Flucht vor den Nationalsozialisten Frau und Kinder in Deutschland zurückgelassen und war in Italien im Exil – eines von 52 EmigrantInnenschicksalen, die in der Ausstellung „Zuflucht auf Widerruf. Deutsche Künstler und Wissenschaftler in Italien 1933–1945“ in der Akademie der Künste vorgestellt werden.
Flucht in ein faschistisches Land? Von einer Diktatur in die nächste? Das Thema der Ausstellung, die im März schon in Mailand gezeigt wurde, ist ungewöhnlich. Was Klaus Voigt und Wolfgang Henze an Kunstwerken, Fotos und Schriften zusammengetragen haben, füllt zwei große Ausstellungssäle. Und es beleuchtet eine widersprüchliche Lebenswelt, die von HistorikerInnen lange ignoriert wurde.
Über 8.000 Hitler-Flüchtlinge hatten sich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 in Italien niedergelassen. Nicht mitgerechnet: Zehntausende von Transitreisenden, die sich zu den italienischen Häfen durchschlugen, um nach Palästina oder Amerika auszuwandern.
Die meisten Flüchtlinge waren Juden und Jüdinnen, die in Deutschland als „Volksfeinde“ verfolgt wurden, SchriftstellerInnen, deren Bücher auf dem Index für „schädliches Schrifttum“ standen, oder KünstlerInnen, deren Werke als „entartet“ galten.
Unter ihnen waren Prominente wie Max Reinhardt, Gelehrte wie der Kunsthistoriker Richard Krautheimer oder der Musikwissenschaftler Alfred Einstein, die Schriftsteller Rudolf Borchardt, Walter Hasenclever und Stefan Andres, Maler wie Felix Nussbaum, Eduard Bargheer, Werner Gilles, der Pianist Artur Schnabel oder der Architekt Konrad Wachsmann.
Was die Flüchtlinge in Italien vorfanden, waren, so Klaus Voigt, „im Vergleich zu anderen europäischen Ländern günstige Lebensbedingungen“. Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus seien „in Italien nur wenig verbreitet“ gewesen. Vorerst zumindest.
Benito Mussolini, dessen Geliebte Margherita Sarfatti selbst Jüdin war, wartete den ersten Staatsbesuch seines Verbündeten Adolf Hitler in Italien ab, bevor er im Herbst 1938 die italienischen „Rassengesetze“ verkündete. Innerhalb von sechs Monaten hatten nun alle eingewanderten Juden und Jüdinnen das Land zu verlassen. Wer sich kein Visum beschaffen konnte, dem drohte die Abschiebung nach Deutschland.
Doch bei der Ausweisung drückten die italienischen Behörden oft ein Auge zu. Unter den Augen der Polizei konnten sich Hunderte in Fischerbooten nach Frankreich retten, andere überquerten mit Hilfe ortskundiger Italiener die grüne Grenze Richtung Jugoslawien oder in die Schweiz.
Wer nicht mehr rechtzeitig von FreundInnen versteckt werden konnte – wie der Graphiker Michel Fingesten –, landete 1940 beim Kriegseintritt Italiens im Internierungslager. „Ausländische Juden“ pferchte man in Landhäusern und Kirchen, Schulen oder Fabrikhallen zusammen, wo sie unter elenden Lebensbedingungen, miserabel ernährt und in ständiger Angst vor Deportation auf die Befreiung warteten.
Nur wenige KünstlerInnen wagten es, die Not in ihren Bildern zu kritisieren. So gehört das gequälte Selbstbildnis des Secessions-Malers Rudolf Levy zu den beeindruckendsten Stücken der Ausstellung. Wenige Monate nach Fertigstellung des Porträts wurde der Künstler nach Auschwitz deportiert, wo er 1944 umkam.
Massendeportationen und Völkermord hatten inzwischen auch Italien erreicht. Nachdem die Regierung Badoglio 1943 einen Waffenstillstand mit den Alliierten geschlossen hatte, wurde Italien von deutschen Truppen besetzt. Aus den italienischen Konzentrationslagern in Fossoli bei Modena oder Ferramonti-Tarsia wurden nun Tausende von Häftlingen nach Auschwitz gebracht – von 6.746 überlebten nur 830. Immerhin, so betont Ausstellungskurator Voigt, habe man in Italien darauf geachtet, die Gefangenen „menschlich zu behandeln und vor Beleidigung und Gewalt zu schützen“. Keine Frage: Mit dem Holocaust ist die italienische „Rassenpolitik“ nicht gleichzusetzen. Aber kann man tatsächlich – wie es schon der Italien-Emigrant und Heidegger-Schüler Karl Löwith tat – von „Humanität“ der italienischen FaschistInnen sprechen? Laufen die Aussteller damit nicht Gefahr, die Sache zu verharmlosen?
Römische Gärten, Öl auf Leinwand, lächelnde Frauen im Internierungslager, wohlgenährte Häftlinge beim Mittagessen, schließlich sogar ein Gefangener, der einer Phalanx von Kirchenoberen, Parteibonzen und Lageraufsehern einen Blumenstrauß überreicht. War es wirklich so schön im Lager? Bella Italia – auch im KZ?
Woher sollen die BetrachterInnen wissen, daß das Foto friedlich betender Juden in der Lagersynagoge erst nach der Befreiung von amerikanischen Soldaten aufgenommen wurde? Warum wird nirgends auf die Massenerschießungen in den Adreatinischen Höhlen und die Auslieferung von Häftlingen an die kroatische Ustascha hingewiesen? Wo erfahren die BesucherInnen etwas über die zwiespältige Rolle des Vatikans?
Wieso bleibt die eindrucksvolle Holzskulptur von Jenny Wiegmann Mucchi, die die Erschießung eines Partisanen zeigt, eine seltene Ausnahme politischer Kunst? Wo sind die ItalienerInnen, die unter Lebensgefahren jüdische Flüchtlinge in Scheunen und Hinterhöfen versteckt hielten? Und schließlich: Ist es wirklich wünschenswert, den leidvollen Alltag der EmigrantInnen unter einem Berg friedlicher Stilleben, farbenfroher Landschaftsmalerei und fröhlicher Keramik zu begraben? Weniger davon wäre mehr gewesen. Constanze v. Bullion
„Zuflucht auf Wideruf. Deutsche Künstler und Wissenschaftler in Italien 1933–45“. Bis 22. 10., Mo. 13–19 Uhr, Di.–So. 10–19 Uhr (Mi. Eintritt frei)
Begleitveranstaltungen bis 12.9., Programm und Termine erfragen: Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Tiergarten, Telefon: 39000763.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen