: Licht aus für das „Narva-Modell“
Aus dem VEB Berliner Glühlampenwerk wurde das Privatisierungs-„Modell Narva“, das nun nach Millionenverlusten seine letzten 250 Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit entläßt ■ Von Helmut Höge
In dem neuen Roman „Ein weites Feld“ von Günter Grass ist die Hauptperson Theo Wuttke alias „Fonty“ als Bürobote im Haus der Ministerien beschäftigt, mit der Wende übernimmt ihn die Treuhandanstalt. Nach der Ermordung Detlef Rohwedders und der Bestellung von Birgit Breuel zur neuen Chefin verliert Fonty sein Büro. Als letzten Treuhand-Auftrag soll er sich ein neues Wort für „abwickeln“ ausdenken... „Danach schrieb er die Geschichte des VEB Glühlampenwerks als mögliche Bilderbogengeschichte: ,Man könnte im Neuruppiner Stil mit Edison, dem Erfinder der Glühbirne, beginnen und dann die ewig vom Kurzschluß bedrohte Erleuchtung der Welt von Station zu Station steigern, bis es bei der volkseigenen Narva und auch sonst zappenduster wird ...‘“
Diese Bilderbuchgeschichte der Lichtproduktion hatte die taz bereits seit 1991 in etlichen Artikeln erzählt, als die Klingbeil-Gruppe das Werk zu übernehmen drohte. Aber etwas fehlte daran noch: eine Art Schlußstrich, „der Haken drunter“, wie sich die ehemalige Narva-Kombinatsjustitiarin Frau Dr. Müller ausdrückt. Der ist aber auch erst jetzt möglich, denn am 1.9. 1995 lief die dreijährige „Beschäftigungsgarantie“ für die bei der Privatisierung noch 1.080 Narva-Beschäftigten aus, die der Immobilienentwickler Erhard Härtl gegenüber der Treuhand 1992 abgegeben hatte. Damit werden die letzten etwa 250 Mitarbeiter entlassen, und „Narva has come to an end“, wie selbst der britische Rundfunksender BBC vermeldete.
Auf Drängen des Investors, aber auch des Betriebsrates war bereits Mitte 1994 die Beschäftigungsgarantie aus finanziellen Gründen ausgesetzt und die Mitarbeiterzahl halbiert worden. Die Ausgründungen hatten es nicht geschafft, zu Selbstläufern zu werden, und das von der Treuhand zur Verfügung gestellte Ausweichgelände in Johannisthal war nicht so weit bebaut worden, daß sich dort Drittfirmen ansiedeln konnten, um den zumeist auf null Stunden Kurzarbeit gesetzten Narva-Mitarbeitern neue Arbeitsplätze zu bieten. Nicht einmal ihre Umschulung dafür hatte bis dahin geklappt: Die Arbeitsämter weigerten sich, die Zuschüsse zu zahlen – mit der Begründung: Bis zum 1. 9. 95 ist die Anstellung gesichert, erst dann können wir tätig werden.
Einzig die vom Betriebsrat gegründete ABM-Beschäftigungsgesellschaft „Brücke“ expandierte: Sie beschäftigt mittlerweile über 1.000 Arbeitslose – die meisten in sozialen Projekten des Bezirks Friedrichshain. Auch viele der jetzt arbeitslos gewordenen Narva- Leute inklusive Betriebsräte hoffen, dort demnächst unterzukommen. Zuletzt versorgte eine Wohnungsbaugesellschaft sie noch einmal kurz mit bezahlter Arbeit: Sie mußten Wohnungsbegehungen durchführen, damit die Mieterhöhungen vom 1. 8. 95 begründet werden konnten.
Ihr feines, an der Karl-Marx-Allee eröffnetes Narva-Café „Priamos“, benannt nach der Härtl- Firma, von der die Belegschaft übernommen worden war, mußte bereits Ende 1994 wieder geschlossen werden, die ausgegründete Baufirma „Cubus“ ging ebenso in Konkurs wie ein Büromöbelvertrieb und ein Kurierdienst (dessen spanische Pkws zuletzt die Beschäftigungsgesellschaft übernahm). Auch die bereits 1991 mit der Firma „Prolux“ ausgegründeten 1.000 Maschinenbauer mußten mehrmals Entlassungen vornehmen und wurden schließlich „auseinanderdividiert“, wie sich eine Narva-Managerin ausdrückte. Im Endeffekt blieb dort nur eine „kleine Truppe“ übrig, die Geräte zum Recyceln von Leuchtstoffröhren baut.
Die einst von Toshiba gekauften Fließstrecken zur Glühlampenproduktion bekam 1994 eine Firma in Indien. Die bei der Wende für 22 Millionen von Osram erworbene Produktionsanlage für Energiesparlampen wurde nach Korea verkauft, wo eine Narva-Brigade sie aufstellte. Die Energiesparlampenproduktion mußte wegen Patentstreitigkeiten mit Osram und Philips eingestellt werden.
Aus den Resten der einstigen Drahtzieherei, die sich auf die Produktion von Folien umstellte, und dem Bereich „Hochdruck- Lampe“ gründete sich die „Gesellschaft für lichttechnische Erzeugnisse“ (GLE) aus. Sie beschäftigt derzeit 70 Leute. Ihre Geschäftsführung, zu der auch die ehemalige Justitiarin zählt, ist einigermaßen optimistisch, daß man mit den Nischenprodukten, unter anderem Sonderlampen, überleben wird: „Genealogisch wäre die GLE somit wohl das einzige, was vom VEB Berliner Glühlampenwerk (BGW) und seinen einst 5.000 Beschäftigten übriggeblieben ist“, meint sie. 40 Mitarbeiter beschäftigt darüber hinaus eine bayerische Firma, die unter den Namen „Fleißige Lieschen“ und „Armit“ auf dem Narva-Gelände noch für die Kantine und die Gebäudereinigung sowie für den Wachschutz verantwortlich ist. „Fast alles, was versucht wurde, ist nichts geworden“, so bilanziert einer der von der Arbeitnehmervertretung zu den „Machern“ Gewechselten die dreijährige „Garantiezeit“, das „Modell Narva“, das Zigmillionen Mark, auch vom Investor, kostete.
Das Münchner Magazin Focus meldete jüngst, der Immobilienentwickler Härtl plane, die Anfang des Jahrhunderts für Osram gebauten und nun unter Denkmalschutz stehenden leeren Narva- Fabriken an der Warschauer Brücke abzureißen. Bei dem gesamten Komplex handelt es sich heute, nach Abräumung der meisten Nachkriegsbauten, um fünf Gebäude: Das erste – ehemalige Verwaltungsgebäude – wurde modernisiert und steht nun leer (eventuell wird das Bezirksamt dort einziehen), die Gebäude 4 und 5 werden nur noch „entkernt“ und bleiben dann so stehen, wie sie sind – bis sich der darniederliegende Gewerbe-Immobilien-Markt wieder belebt. Eine solche „Verzögerung“, die bis zur Scheinbeschäftigung geht, ist derzeit gängige Praxis bei fast allen größeren Berliner Bauvorhaben.
Anders sieht es mit dem Gebäude 3 aus, auf dem sich als weithin sichtbares Zeichen der Narva- Lichtturm befindet. Er wurde vor vier Wochen ausgeknipst. Dieser Bau ist laut neuestem Gutachten so vollgesogen mit Chemikalien, unter anderem Quecksilber, daß er wahrscheinlich abgetragen werden muß. Das halbfertige Hochregallager nebendran sollte sowieso abgerissen werden, ebenso das neue Verwaltungshaus, ein Plattenbau.
Abriß, Entkernung und Leerstand bedeuten für die Narva-Belegschaft jedoch ein und dasselbe: Nämlich „daß dort bisher noch kein einziger Arbeitsplatz entstanden ist“, so Betriebsrat Mruck. Auch in Johannisthal noch nicht, wo jetzt immerhin eine Fabrikhalle ganz und zwei weitere fast fertiggestellt sind. Dafür gibt es sogar einige Mietinteressenten, man kann sie aber nicht mehr dazu verpflichten, Narva-Mitarbeiter einzustellen. Erst zogen sich dort die Baugenehmigungen in die Länge, schließlich meldete auch noch die verantwortliche Baufirma, Greschbach, Konkurs an: „Insbesondere Johannisthal hat uns wegen der Zeitverzögerung das Genick gebrochen“, meint der Betriebsrat. Die jetzt Gekündigten bekommen seiner Schätzung nach Abfindungen von „höchstens 5.500 Mark“ (zum Vergleich: ein Osram-Mitarbeiter kann Beträge zwischen 50.000 und 80.000 Mark beanspruchen). „Wenn das erledigt ist, haben wir von dem unglücklichen Ding auch die Nase voll!“
Bisher hat nur etwa ein Zehntel der vor drei Jahren noch 1.080 Beschäftigten eine Daueranstellung gefunden. Der Grund für das Scheitern so vieler Projekte wird zum einen in der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung gesehen und zum anderen darin, daß der Investor sich „mit dem Zeitplan für die Johannisthaler Baugenehmigungen verschätzte“. Was auch für den Betriebsrat gilt, der den Plan quasi mit unterschrieb. Der erste Geschäftsführer nach der Privatisierung, der Spanier Jesus Comesana, war zuvor als Manager einer Frankfurter Bank für den Narva- Verkauf an Erhard Härtl mitverantwortlich gewesen, die Betriebsräte hatten ihn dann zur Übernahme der Geschäftsführung gebeten. Er meinte bereits 1993, es fehle den Narva-Leuten insgesamt an „Cochones“ (Hoden – was für ihn soviel wie „Verantwortungswillen“ bedeutete). Nachdem er sich wegen der Umschulungsfinanzierung allzusehr in die Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit verkrallt hatte, warf er entnervt das Handtuch.
Auch einige Betriebsräte neigten später dazu, zumindest Teilen der Belegschaft „mangelndes Engagement“ vorzuwerfen. Von den 500 Mitte 1994 Entlassenen beschwerten einige sich darüber sogar bei der IG Metall – mit der Begründung: „Es geht uns darum, in unseren Familien und Freundeskreisen nicht als faul dazustehen. Auch bei einer Bewerbung in anderen Unternehmen möchten wir diesen Makel von uns weisen können.“ Andere, in der CDU organisiert, gaben via Morgenpost dem Investor die Schuld: „Nichts von den Versprechungen hat die Härtl- Gruppe gehalten!“ Die ehemalige Kombinatsjustitiarin kommt – am Ende – gar ins Orakeln: „Letztlich war es eine Spiegelfechterei!“
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