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Nur kurz schäumte das Meer

■ Das französische Militär inszeniert den Atomtest fast wie die Ziehung der Lottozahlen

Die Kamera schweift über einen palmengesäumten weißen Strand vor türkisblauem Wasser, durch den Lautsprecher des Fernsehers rauscht das Meer – romantisches Atoll Moruroa. Die „Antenne de Moruroa“ sendet direkt ins Pressezentrum der Militärs in Papeete. Der Oberbefehlshaber der Streitkräfte in Französisch-Polynesien, General Philippe Euverte, rückt ins Bild: „Ich habe mich vergewissert, daß alles den Sicherheitsvorschriften entspricht“ – alles fast so ordnungsgemäß wie bei der Ziehung der Lottozahlen.

Am Dienstag um 12.30 Uhr geht die Bombe hoch, das ist 23.30 Uhr mitteleuropäischer Zeit. Das militärische Showbiz liefert ein hollywoodreifes Filmchen: konzentrierte Offiziere, technisch aufwendige Schaltanlagen. Dazwischen Bilder von seelenruhig Boule spielenden Soldaten. Kurz wie ein Blitzlicht schäumt das Meer weiß auf. „Puh!“ ertönt eine Stimme aus dem Off, dann ein Blick auf ein Ausflugscafé unter Palmendach, wo Gäste in Zivil mit Blick auf die Lagune der Explosion der Bombe beiwohnen dürfen.

Mit knapp 20 Kilotonnen Sprengkraft – das ist etwas mehr als die Bombe von Hiroshima – ist es einer der kleinsten Bombentests der Franzosen. Der „Tethys“ getaufte Test ist die 176. atomare Explosion im Pazifik, die 130. unterirdische. Der Termin sei schon im Juni festgelegt worden, sagte der Direktor der Atomtestbehörde, General Paul Vernicel, triumphierend. „Die Greenpeace-Aktionen haben uns nicht im geringsten dabei beeinflussen können.“

Das Warten, die ewig hinhaltenden Gerüchte haben nun ein Ende. Jetzt müßte nur noch etwas passieren – irgendeine Reaktion. Doch die zwei Sprecher des Militärs sprechen nicht. „Wir wissen nicht mehr als Sie“, lügt einer und verweist auf die Videopressekonferenz, die später direkt nach Moruroa geschaltet werden soll.

18 Kamerateams, im Halbkreis um die Bildschirme im Pressezentrum postiert, warten und starren auf ein bunt gestreiftes Testbild. Mobilere Medienvertreter streifen um den Block, dorthin, wo das französische Hochkommissariat liegt. Gerade waren sieben vergitterte Wannen eines mobilen Einsatzkommandos vorbeigebrettert. Vier japanische Studenten aus Hiroshima und einen australischen Abgeordneten hatten sie zuvor verhaftet, die vor der Residenz von Hochkommissar Paul Roncière demonstrierten. Anschließend kommt eine spontane Kleinstdemo vor dem Tor der Residenz zustande. Sechs männliche Mitglieder der polynesischen Organisation Hiti Tau rütteln mit aller Kraft an dem Gitter, während mehrere Frauen ihre Wut herausschreien: „Ihr bringt die Polynesier um wie Hunde, und ihr seid auch noch stolz, Franzosen zu sein. Ihr seid stolz, Mörder zu sein.“ Auf der anderen Seite marschieren zehn Männer in Kampfausrüstung auf. Reglos stehen sie da.

„Wir sind mehr als zornig, wir sind äußerst verletzt“ – die Betroffenheit in der Stimme von Nelson Ortas, Sprecher der Unabhängigkeitspartei Tavini, ist nicht einstudiert. Sein Chef, Oscar Temaru, hat sich nach Bekanntwerden des Atomtests in sein Büro eingeschlossen, er wollte niemanden sehen. „Ich habe nicht nur gehofft, sondern wirklich geglaubt, daß Frankreich nicht so anmaßend sein würde und unser Volk nicht so verachten würde“, setzt Ortas hinzu. Was werden die Tahitianer tun als Reaktion auf den Test? „Ich weiß es einfach nicht“, murmelt Gabriel Tetiarahi, der Koordinator der regierungsunabhängigen Organisation Hiti Tau. Den ganzen Nachmittag finden Versammlungen statt, auf denen die Oppositionsgruppen das weitere Vorgehen besprechen. Der tahitianische Widerstand ist jedoch zersplittert. Daß Oscar Temarus Unabhängigkeitspartei bei einer Anti-Atom- Demo Ende Juni die Straßen nach Papeete für Tage dicht machte, ohne die anderen vorher zu konsultieren, das können alle anderen ihm nicht verzeihen. Das Koordinationskomitee der verschiedenen Gruppen beschließt am Dienstag abend gerade noch, eine große Versammlung abzuhalten, die den für Mittwoch von den Gewerkschaften angesetzten Generalstreik einleiten soll.

Noch vor dem Test waren zwei Greenpeace-Aktivisten auf Moruroa festgenommen worden. Sie hatten sich dort nach Angaben der Umweltorganisation 24 Stunden aufgehalten. Die beiden Briten waren offenbar in einem Schlauchboot in die Zwölf-Meilen-Zone eingedrungen und dann getrennt in Kajaks weitergefahren. „Falls Chirac annimmt, daß der Widerstand gegen die Tests jetzt nachläßt, dann wird er enttäuscht werden“, sagt die Greenpeace-Sprecherin Janet Dalziell aus Neuseeland in Papeete. Greenpeace will weitere Aktionen durchführen, doch Genaueres könne man im voraus nicht mitteilen. Es seien jedenfalls noch mehrere Teams in „geheimen Aktivitäten“ vor Moruroa, erklärt Thomas Schultz-Jagow, der Anti-Atom-Koordinator von Greenpeace International.

Einer hingegen ist vor Stolz schon ganz entrückt: Der Sprecher der tahitianischen TV-Nachrichten ist bester Laune, als er die erfolgreiche Durchführung des Tests verkündet. Beitrag um Beitrag folgt, wie wichtig und sicher die Tests sind. Der Präsident der Evangelischen Kirche auf Tahiti, Jacques Ihorai, darf nach etwa 15 Minuten Jubelberichterstattung einige Sekunden lang Bedenken äußern – der Ausgewogenheit halber. Daß irgend jemand auf der Welt etwas gegen die französischen Atomtests haben könnte, das wird nicht vermeldet. Nicola Liebert, Papeete

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