: „Ihre Lieder sind bestialisch schwer“
■ Leben und Werk von Lili Boulanger jetzt neu übersetzt bei „Zeichen und Spuren“
„Lilis Musik ist nichts Technisches. Ihre Energie fließt, sie spricht von Seele zu Seele.“ Die amerikanische Geigerin und Musikwissenschaftlerin Léonie Rosenstiel war fasziniert von der Musik Lili Boulangers, die sie in ihrem Geigenunterricht kennenlernte. Sie machte sich auf die Suche nach weiterer Musik der 1918 im Alter von 24 Jahren verstorbenen Komponistin, auf die Suche nach der Geschichte ihres Lebens. Das Ergebnis liegt jetzt auch in Deutsch vor: Léonie Rosenstiel: „Lili Boulanger – Leben und Werk.“
Hauptinformantin für die Autorin war Lilis sechs Jahre ältere Schwester Nadia, bis heute eine der bekanntesten KompositionslehrerInnen des 20. Jahrhunderts. Die Zusammenarbeit mit Nadia war jedoch schwierig, wie Léonie Rosenstiel berichtet. Die Angst vor der „größeren Begabung“ der jüngeren Schwester hat die ältere womöglich dazu veranlaßte, bestimmte Stücke und Dokumente Lilis zu verschweigen: Bis heute ist zum Beispiel die unvollendete Oper „Princesse Maleine“ angeblich verschwunden. Jedoch: Lili erhielt 1913 als erste Frau den begehrten „Prix de Rome“, nach Komponisten wie Claude Debussy oder Hector Berlioz.
Das bereits 1987 in Amerika erschienene Buch liegt nun in der deutschen Übersetzung vor. Es bildet nach wie vor die unverzichtbare Grundlage für den Zugang zum Werk und dem Leben der von Jugend auf todkranken Künstlerin. Aber es handelt sich nicht um ein musikwissenschaftliches Buch, sondern um ein persönlich geschriebenes – und damit gut zu lesendes –, das die Leidenschaft von Leonie Rosenstie für die Komponistin in jeder Zeile deutlich werden läßt. Es ist ein Buch, das außerdem zeigt, wie die Begegnung mit Lili Boulanger die Autorin bereichert und beglückt hat.
Der kleine Verlag, der es gewagt hat, sich dieses Kleinods anzunehmen, ist der Bremer Verlag „Zeichen und Spuren“. Ein Blick in sein Verzeichnis mit 22 Büchern zeigt das Engagement: Frauenthemen, geprägt von einer aufmerksamen Beobachtung kultureller Hintergründe. Denny Hirschbach vom Verlag: „Die Frauen, die wir verlegen, interessieren uns besonders wegen ihrer Brüche im Leben.“
So war es auch bei Lili Boulanger, doch die Buchproduktion war nicht das einzige, was den Zwei-Frauen-Verlag interessierte. Zu jedem ihrer Bücher gibt es als „Nebenereignisse“ Ausstellungen, Konzerte, Symposien – Lili Boulangers 100. Geburtstag 1993 wurde mit einer aufwendigen Konzertreihe gefeiert. Der hundertseitige Programmkatalog mit einer Unzahl von Dokumenten aus dem Leben der Komponistin ist ebenfalls bei „Zeichen und Spuren“ erschienen und eine gute Ergänzung zur neu übersetzten Biographie.
Ute Schalz-Laurenze
Léonie Rosenstiel: Lili Boulanger Hrsg. v. Kathrin Mosler Zeichen und Spuren, 1995. 326 S. 68 Mark
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