: Ein Fall für Hercule Poirot
Ein Deutscher hat vom Seebad Torquay aus ein weltweites Betrugsnetz aufgebaut / Gefälschte Papiere im Nennwert von 10 Billionen Dollar ■ Von Ralf Sotscheck
Dublin (taz) – Torquay, der Geburtsort Agatha Christies, ist ein malerisches Seebad in der Grafschaft Devon. Der Ort ist in den siebziger Jahren durch die Fernsehserie „Fawlty Towers“ über Großbritanniens Grenzen hinaus bekannt geworden. Darin spielte John Cleese einen Pensionsbesitzer, der seinem eher schäbigen Haus gerne den Anschein eines erstklassigen Hotels geben wollte.
Seit Donnerstag ist der Ort aus einem anderen Grund in die Schlagzeilen geraten: Der 37jährige Deutsche Gerhard Werner Martens hat, so glaubt die Polizei, von Torquay aus ein weltweites Betrugsnetz aufgebaut und ihm den Anstrich einer erstklasisgen Bank geben wollen. Nach monatelangen Ermittlungen ist die Sache aufgeflogen.
Martens und neun seiner Mitarbeiter, darunter sieben Deutsche, wurden verhaftet, jedoch bis auf Martens gegen Kaution wieder freigelassen. Offenbar haben sie unter dem Deckmantel ihrer legalen „Allgemeinen Handels- und Affectenbank“ in Torquays Hauptgeschäftsstraße ein Netzwerk von mehr als 200 Unternehmen unterhalten, mit denen ausländische Investoren hinters Licht geführt wurden.
„Es sieht so aus, als ob sie das internationale Bankwesen für ihre eigenen Zwecke mißbraucht haben“, sagte der stellvertretende Polizeichef von Devon, John Albon. „Wir kennen bisher nur die Spitze des Eisbergs.“ Die Polizei hat die umfangreichsten Ermittlungen seit Zusammenbruch der BCCI-Bank eingeleitet.
Im Mittelpunkt soll eine im US- Bundesstaat Delaware eingetragene Firma stehen – die Offenlegungspflicht wird in Delaware besonders lasch gehandhabt. Diese Firma, die vor knapp einem Jahr gegründet worden ist, hat Kapitalanlegern Kredite in Millionenhöhe angeboten und ihnen zunächst, wie es durchaus üblich ist, eine Gebühr abverlangt. Danach händigte man den Investoren eine Bescheinigung aus, mit der sie angeblich bei jeder Bank den beantragten Kredit in Empfang nehmen könnten.
Dem war jedoch nicht so: Andere Banken lehnten die Bescheinigung ab, weil die Handels- und Affectenbank international nicht anerkannt ist. Bei den Opfern handelt es sich hauptsächlich um wohlhabende Privatinvestoren und Institutionen aus Deutschland und den USA. „Dem ersten Anschein nach können die Opfer ihr Geld abschreiben“, sagte ein Polizeisprecher.
Bei der Durchsuchung der Bank in Torquay und 13 weiteren Gebäuden wurden Berge von Unterlagen und Computerdisketten sichergestellt. Es wird allein drei Wochen dauern, bis die Dokumente aufgelistet sind. „Wir wollten zuschlagen, bevor die Leute Verdacht schöpften und die Unterlagen vernichteten“, sagte der Sprecher. Unter anderem fand die Polizei eine Industrieobligation mit einem sagenhaften Nennwert von zehn Billionen US-Dollar. „Es war eine Zahl mit 13 Nullen“, sagte John Albon, „unsere Jungs hatten vorher noch nie ein Papier mit so vielen Nullen gesehen.“
Unter der Adresse der Bank waren eine Devisenstelle, ein Kundenkreditunternehmen, ein karibisches Maklerbüro sowie eine Bürobedarfsvermietung angemeldet. 60 Beamte waren an der Untersuchung beteiligt. Wann Anklage erhoben wird, konnte Albon nicht sagen: „Die Sache ist personalintensiv, hat eine internationale Dimension, und manche Vergehen fallen in eine andere Jurisdiktion.“ Die Ermittlungen wurden gestern auf Kanada ausgedehnt. Warum sich die Gruppe ausgerechnet Torquay als Hauptsitz ausgesucht hat, weiß niemand. „Man kann hier ziemlich schön wohnen“, mutmaßte ein Polizist. „Das ist jedenfalls der größte Betrugsfall, mit dem wir es je zu tun hatten.“
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