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Lebenslang durch juristische Hintertür

Sicherungsverwahrte Gefangene müssen sich nach Strafende auf unbestimmte Zeit im Knast einrichten. Zusatzstrafe hängt vom Richter ab. Sicherungsverwahrung gilt seit August auch im Osten  ■ Von Peter Lerch

Vor achtzehn Jahren stand Matthe L. vor Gericht, weil er nach einer durchzechten Nacht ein Fotogeschäft überfallen und den Angestellten schwer verletzt hatte. Obwohl er derart besoffen war, daß er sich an die Tat nicht mehr erinnern konnte, verknackte ihn das Gericht zu zwölf Jahren Knast.

Für den damals 24jährigen lag das Strafende so weit in der Ferne, daß er entschlossen war, seine Zeit nicht in einer Zelle zu vertrödeln. Bereits nach eineinhalb Jahren gelang ihm eine spektakuläre Flucht aus der Justizvollzugsanstalt Tegel. Kaum draußen, besorgte er sich einen Trommelrevolver und hielt sich versteckt. Nachts ging er auf Zechtour. In einer Kneipe im Wedding kriegte er Streit. Matthe schoß. Dreimal. Resultat: drei Schwerverletzte. Als die Polizei ihn festnehmen wollte, bedrohte er die Beamten mit der Waffe. Vor Gericht sagten diese später aus, daß er abgedrückt und es zweimal „Klick“ gemacht habe. Das Gericht verdonnerte Matthe L. wegen dreifachen versuchten Totschlages und zweifachen versuchten Mordes zu vierzehn Jahren plus anschließender Sicherungsverwahrung. Das bedeutet, daß er auch nach Verbüßung seiner Haftstrafe von 26 Jahren unbestimmte Zeit in der Haftanstalt bleiben muß – längstens aber zehn Jahre. Zum Vergleich: Wegen Mordes verurteilte Strafgefangene werden in der Regel nach zwölf bis fünfzehn Jahren entlassen. In der eigens für derartige Häftlinge eingerichteten Station in der Haftanstalt Tegel sitzen derzeit sieben Häftlinge.

Die Nazis verankerten im deutschen Strafrecht diese Möglichkeit, um sogenannte gefährliche Hangtäter über die Strafe hinaus im Gefängnis zu verwahren. Nach dem Krieg behielt man das Gesetz bei. Was ein „gefährlicher Hangtäter“ ist, entscheidet die zuständige Strafkammer. Olaf Heischel, mit Strafvollstreckungssachen vertrauter Rechtsanwalt und Mitglied des Vollzugsbeirates: „Die Verurteilung zu Sicherungsverwahrung variiert dermaßen stark, daß es nicht immer „die Gefährlicheren“ trifft, sondern einfach nur Leute, die eine falsche Kammer erwischen.“ Insofern hatte Matthe L. einfach nur Pech, von einer Kammer verurteilt zu werden, die verhältnismäßig häufig Maßregelvollzug verhängt.

Für die Verurteilten bedeutet die Sicherungsverwahrung nicht nur eine zusätzliche Strafe mit unbestimmtem Ende. Die Haftanstalten machen sich kaum die Mühe, auf die Resozialisierung von betroffenen Insassen hinzuarbeiten, da sie kaum eine Möglichkeit haben, das Strafende abzuschätzen. Eine konkrete Vollzugsplanung kann deshalb betrieben werden. Den Frust muß der betroffene Insasse ausbaden: Einerseits wird er über seinen Entlassungszeitpunkt im unklaren gelassen, zum anderen ist er weitestgehend von Wiedereingliederungsmaßnahmen ausgeschlossen.

Das widerspricht nicht nur dem Strafvollzugsgesetz, das die Wiedereingliederung der Gefangenen ausdrücklich zum Ziel setzt. Auch mit dem Grundgesetz ist dies nur schwer zu vereinbaren. Deshalb hatte der Berliner Vollzugsbeirat bereits im Januar 1993 in einem Schreiben an die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger die Abschaffung der Sicherungsverwahrung gefordert.

Problematisch erschien dem Vollzugsbeirat auch, daß in der DDR ein vergleichbarer Maßregelvollzug bereits seit 1980 abgeschafft worden war. Nach dem Einigungsvertrag konnte die Sicherungsverwahrung nur gegen Straftäter aus den alten Bundesländern verhängt werden – was den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verletzte.

Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen schlug in einem Gesetzentwurf vor, nur noch Tatbestände wie Mord und Totschlag, Vergewaltigung und sexuellen Mißbrauch von Kindern mit Sicherungsverwahrung zu bestrafen. Darüber hinaus verlangte sie die Verkürzung der Überprüfungsfristen von zwei Jahren auf sechs Monate sowie eine generelle Verkürzung der Sicherungsverwahrung von derzeit zehn auf fünf Jahre.

Daß die Sicherungsverwahrung in der Regel länger dauert als die gleichzeitig verhängte Strafe – in Berlin wurden bereits bei erstmaliger Anordnung durchschnittlich achteinhalb Jahre Sicherungsverwahrung gegenüber durchschnittlich fünfeinviertel Jahre Strafe verbüßt –, macht diese Form des Maßregelvollzuges endgültig zum rechtspolitischen Kasperletheater. Um so mehr, weil sich für die von Sicherungsverwahrung betroffenen Häftlinge nach dem Ende ihrer regulären Haftzeit fast nichts ändert. Sie dürfen lediglich mehr Pakete und etwas mehr Besuch empfangen.

Doch die liberale Bundesjustizministerin verteidigte die Sicherungsverwahrung. Man könne darauf aus rechts- und kriminalpolitischen Gründen nicht verzichten, hieß es. Im übrigen werde die Sicherungsverwahrung ohnehin nur sehr begrenzt eingesetzt, nämlich dann, wenn sie zu der von dem Täter ausgehenden Gefahr im Verhältnis stehe. Erst wenn mildere Mittel, wie zum Beispiel eine Führungsaufsicht, nicht ausreichen, soll nach den Vorstellungen der Ministerin die Sicherungsverwahrung angewendet werden.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wies auch darauf hin, daß die Gesamtzahl der verhängten Sicherungsverwahrungen von bundesweit 41 im Jahre 1980 auf 27 im Jahre 1989 zurückgegangen ist. Daß 1992 bereits wieder 38 Sicherungsverwahrungen ausgesprochen wurden, verschwieg sie jedoch.

Auch die Ungleichbehandlung von Ost- und Westdeutschen bei der Verhängung der Sicherungsverwahrung machte der Ministerin keine Probleme. Sie legte flugs ein Gesetz zur „Rechtsvereinheitlichung der Sicherungsverwahrung“ vor. Vergangene Woche trat das Gesetz in Kraft. Endlich können auch straffällig gewordene Menschen aus den neuen Bundesländern mit Sicherungsverwahrung zusätzlich bestraft werden.

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