piwik no script img

Nicht herumsitzen und auf den Tod warten

HIV-positiv – nach dem Testergebnis kündigen viele, um „das bißchen Leben“ zu genießen. Doch immer mehr leben immer länger mit dem Virus. Die Bundespositivenversammlung diskutierte Arbeitsplatzmodelle für Positive.  ■ Aus Köln Kirstin Hausen

Mit gekreuzten Beinen und einer Tasse Kaffee in den Händen sitzen sich Kai und Inga im Café der Tagungsstätte an einem der langen Tische gegenüber, vertieft in eine Unterhaltung. Eigentlich haben die beiden nicht besonders viel gemeinsam. Kai kommt aus Hamburg, ist 23, Barkeeper und schwul, die 34jährige Inga arbeitet als Sachbearbeiterin in einem kleinen Ort bei Gießen und ist Bluterin. Was sie verbindet, ist lediglich ihre HIV-Infektion. „Aber genau das ist der Punkt“, erklärt Inga, „die HIV-Positiven haben alle mit denselben Vorurteilen zu kämpfen.“ Das erklärte Ziel der 6. Bundespositivenversammlung (BPV) in Köln war deshalb an den vergangenen vier Tagen auch der Dialog zwischen allen Betroffenengruppen. Zum ersten Mal wurden die Workshops nicht nach Identitäten getrennt. Schwule diskutierten mit Fixern und Heteros mit Homos. Die meisten der über 400 TeilnehmerInnen lobten die Atmosphäre des Treffens.

Es ging jedoch nicht nur um den Erfahrungsaustausch. Die diesjährige Positivenversammlung war – im Gegensatz zu den früheren – ein Arbeitskongreß, auf dem konkrete Forderungen an Politik und Gesellschaft formuliert wurden. Als ReferentInnen waren folglich nicht nur HIV-Positive und Aidskranke geladen, sondern auch VertreterInnen aus Politik, von Krankenkassen, Gewerkschaften und anderen Organisationen.

Eins der meistdiskutierten Themen war die Entwicklung von alternativen Arbeitsplatzmodellen für HIV-Positive. Wie wichtig es ist, seinen Job zu behalten, merke man oft erst, wenn es zu spät sei, stellten die TeilnehmerInnen zu Beginn dieses Workshops einhellig fest. Für viele ist ein positives Testergebnis aber zunächst einmal der Auslöser dafür, den Job an den Nagel zu hängen. „Im ersten Moment denkt man nicht mehr an seine finanzielle Absicherung oder an die netten Kollegen, da will man das bißchen Leben, das man noch hat, auskosten“, erzählt Armin aus Berlin.

Ein anderer Teilnehmer hatte denselben Gedanken. Er gab seine erfolgversprechende Karriere bei einem großen Kaufhauskonzern auf, begann aber dann, Psychologie zu studieren. „Zuerst ließ ich mich krank schreiben“, erinnert er sich, „weil ich den Streß nicht mehr aushielt. Aber so ganz ohne Arbeit hat man einfach zuviel Freizeit. Da weiß man irgendwann nicht mehr, was man mit sich anfangen soll, und wird total depressiv.“ Ingo hofft, nach seinem Studium als Therapeut arbeiten zu können. Einem 10-Stunden-Arbeitstag wird er dann aber möglicherweise nicht mehr gewachsen sein.

Und weil genau das vielen so geht, seien Arbeitgeber und Krankenkassen aufgerufen, gemeinsam mit den Selbsthilfeorganisationen Modelle für einen langsamen Ausstieg aus der Arbeitswelt zu entwickeln, meint Guido Vael von der DAH. Denn das, was die VertreterInnen des Arbeitsamts und der Kassen bisher vorgestellt hätten, sei für HIV-Positive völlig ungeeignet. „Diese Modelle beschäftigen sich mit der stufenweisen Wiedereingliederung, uns geht es genau um das Gegenteil.“

Auch bei den Arbeitgebern mahnte er ein Umdenken an: „HIV-Infizierte dürfen nicht nach Bekanntwerden der Infektion von den Firmen in die Rente abgeschoben werden. Die Arbeitsplätze müssen erhalten werden.“ Im Moment seien allerdings in einem solchen Fall auch Firmen noch weitgehend auf sich gestellt. Schriftlich ausgearbeitete Modelle müßten formuliert werden – damit die Betroffenen ihrem Chef gegenüber tatsächlich etwas in der Hand hätten. Erst dann hätten weniger Positive Angst, auf der Arbeit von der Infektion zu erzählen, sagt eine Besucherin der BPV. „Damit wäre mir eine schwere Last von den Schultern genommen“, bestätigt auch ein Teilnehmer aus Siegen, der seine Infektion aus Angst, den Arbeitsplatz und die Freundschaft der Kollegen zu verlieren, bis heute verschweigt.

Doch die Teilnehmer, die ihr „Outing“ am Arbeitsplatz bereits hinter sich haben, berichten noch von ganz anderen Problemen, die auf sie zugekommen seien. „Plötzlich hielt der Betriebsrat eine Sitzung ab, in der über den künftigen Umgang mit mir beraten wurde“, erinnert sich einer. Andere wissen von spontaner Solidarität von Kollegen gegenüber dem Chef zu berichten.

Denen, die sich nicht auf der Arbeit outen wollen, bleibt immerhin die Möglichkeit, Rücksicht auf krankheitsbedingte Schwächen einzufordern, ohne ganz mit der Wahrheit herauszurücken. Allen, denen der Mut fehle, offen über ihre HIV-Infektion zu reden, rät Michaela aus Bochum, einen Schwerbehindertenausweis, auf den jeder HIV-Infizierte oder Aidskranke Anspruch habe, vorzulegen: „Daraufhin bin ich nicht mehr ganz so mit Arbeit zugeschüttet worden und fühlte mich der Sache auch wieder gewachsen.“

Am Ende des Workshops nahmen die VertreterInnen der Krankenkassen auch einen ganz konkreten Vorschlag mit nach Hause. Demnach sollte die Kasse, anstatt über 78 aufeinanderfolgende Wochen Krankengeld zu zahlen, bei krankheitsbedingten Pausen die finanzielle Differenz zum Gehalt tragen.

Daß die vorzeitige Rente für HIV-Infizierte keine Lösung ist, darüber waren sich jedenfalls alle einig. Zynisch brachte ein Berliner das Abstellgleis Rente auf den Punkt: „Wir wollen nicht untätig herumsitzen und auf den Tod warten.“ „Ja, da kann man sich doch nicht nur hinlegen“ hieß deshalb auch das Motto der diesjährigen Bundespositivenversammlung. Denn auch die durchschnittliche Lebenszeit mit dem Virus wird immer länger – ein Grund mehr für Positive, aber auch für die nicht infizierte Mehrheit, sich intensiver damit auseinanderzusetzen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen