: Die Bosnier wollen von Teilung nichts wissen
■ Die erfolgreichen Militärs setzen auf die Rückeroberung Bosnien-Herzegowinas
Travnik (taz) – Wenn der Oberfehlshaber der bosnischen Armee zu seiner Truppe spricht, sagt er das, was alle Generäle der Welt im Krieg ihren Soldaten sagen. „Was zählt“, schärft Razim Delić seinen Männern ein, „ist allein die wirkliche Landkarte, die durch euch gezogen wird.“ Delić will zugleich einige aufgebrachte Gemüter beruhigen. Denn trotz der militärischen Erfolge der letzten Tage ist die bosnische Bevölkerung voller Unruhe. Der internationale Teilungsplan wird von den meisten Menschen in der muslimisch dominierten Zone Bosniens abgelehnt.
„Wir wollen keine Teilung des Landes. Jetzt sind wir dabei, die besetzten Gebiete Bosniens zurückzuerobern“, sagt der 25jährige Emir F. Er war drei Jahre Soldat in der 17. Brigade der Regierungstruppen in der zentralbosnischen Stadt Travnik. Eine schwere Verwundung vor drei Monaten hat ihn an den Rollstuhl gefesselt. „Endlich“, fügt er leise hinzu, „marschieren wir auf Banja Luka zu. Ich komme aus Prijedor. Im Juni 1992 mußten wir die Stadt verlassen.“
Wie alle Mitglieder der 17. Brigade ist Emir Vertriebener. Die meisten kommen aus der Region Prijedor, Kozarac, Sanski Most, Kljuć; alle waren sie Gefangene in serbischen Lagern. Emir F. verbrachte den Sommer 1992 im Todeslager Omarska.
Ein Teil der Überlebenden der Lager bildete später in Travnik die 17. Brigade. Dennoch gibt sich Emir versöhnlich: Die serbische Bevölkerung solle in ihren Wohnungen bleiben, sagt er. Für ihn sind die Serben auch Bosnier: „Sie brauchen vor uns doch keine Angst zu haben.“ Ja, er glaubt sogar, daß die Flüchtlinge zurückkehren werden, wenn der Krieg erst vorbei ist. „In Bosnien“, meint er, „wird dies anders als in Kroatien sein. Es gibt nach wie vor drei konstituierende Völker in einem bosnischen Staat, Muslime, Kroaten und Serben.“ Auf Karadžić und Mladić müßten die Serben allerdings verzichten.
Aus dem Radio klingen weitere Erfolgsmeldungen der bosnischen Armee. „Bosanski Petrovac und Sanski Most sind in unserer Hand“, freut sich Fikret K., auch er ein verwundeter Soldat. Daß die serbischen Verteidigungsstellungen wie ein Kartenhaus zusammenbrechen, verwundert nicht nur die bosnischen Militärs in Travnik. Auch im Hauptquartier der kroatisch-bosnischen Truppen HVO in der benachbarten Kroatenenklave Vitez sucht man nach Erklärungen. „Sie hatten starke Stellungen um die westbosnische Stadt Drvar aufgebaut“, analysiert ein kroatischer Offizier, der nur seinen Decknamen Walter genannt wissen will. „Nachdem wir diese durchbrochen hatten, mußten sie sich immer weiter zurückziehen. Wir lassen ihnen einfach keine Zeit, sich erneut einzugraben und Verteidigungsstellungen aufzubauen.“ Offenbar hätten die Serben nicht an einen Angriff auf Banja Luka geglaubt. „Sie haben sich zu sicher gefühlt.“
„Jetzt sind wir Kroaten am Drücker“, sagt Ivo
Unumwunden gibt der junge Offizier zu, daß die kroatisch-bosnische Armee von Truppen aus Kroatien verstärkt worden ist. „Seit dem Abkommen von Split Ende Juli zwischen Izetbegović und Tudjman sind kroatische Truppen berechtigt, in Bosnien zu agieren.“
Auch in der zentralbosnischen, muslimisch dominierten Großstadt Zenica ist die Bedrückung von den Gesichtern gewichen. Nach den endlosen drei Jahren Krieg sei nun die Hoffnung auf einen echten Frieden nicht mehr aus der Luft gegriffen, meint Samira K., eine Sozialarbeiterin. Sie hat gerade die Nachricht erhalten, 200 muslimische Frauen und Kinder seien unter Mithilfe der UNO „aus dem noch von Serben kontrollierten Banja Luka“ nach Travnik gebracht worden. „Die ethnischen Säuberungen gehen selbst jetzt noch weiter“, wundert sie sich.
Doch auch alte Gräben brechen wieder neu auf. „Jetzt sind wir Kroaten am Drücker“, sagt Ivo. Der massige Enddreißiger lehnt sich in seinem Stuhl zurück und deutet auf die während des Krieges zwischen Kroaten und Muslimen 1993 zerstörten Häuser. „Wenn die Serben geschlagen sind, wird der größte Teil Zentral- und Westbosniens von Kroaten kontrolliert sein.“ Die Kroaten würden nicht ruhen, bis das 1993 an die Muslime verlorene Travnik wieder kroatisch wird. „Wenn es nach uns, den einheimischen Kroaten, geht, werden wir die Muslime in die Schranken weisen.“ Und seine geballte Faust weist darauf hin, daß er es ernst meint. Erich Rathfelder
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen