: Auf der Suche nach der Mauer
Nur auf dem Stadtplan ist der Mauerverlauf gekennzeichnet – im Stadtbild sucht man vergeblich. Dabei gibt es Pläne zur Mauermarkierung schon lange ■ Von Remco in't Hof
Als Holländer in Berlin, der mitten in die Diskussion über eine Mauermarkierung hineinplatzt, gerate ich immer mehr in Verwirrung, je mehr ich in das Thema eintauche. An der Kreuzung Brunnen- Ecke Bernauer Straße bekomme ich das ungute Gefühl, daß der Boden unfruchtbar ist. Auf dem Stadtplan ist zwar ein hauchdünner Strich eingezeichnet, der den Mauerverlauf anzeigt, aber in Wirklichkeit sieht man nur Unkraut und Hundescheiße. Hier stand doch die Mauer, oder? Daß hundert Meter weiter, beim Sophien-Friedhof, ein Mauermuseum gebaut werden soll, weiß ich lediglich aus der Zeitung.
Beim Spaziergang entlang des Görlitzer Ufers in Kreuzberg erspähe ich auf der ehemaligen Ostseite frisch gepflanzte Bäume und Sträucher. Hier ist ein begrünter Uferweg entstanden, Spuren des Mauerstreifens entdecke ich nicht. Aber am Checkpoint Charlie, Umgebung Friedrichstraße, da muß es doch ein richtiges Stück Mauer geben? Reichlich Steine finde ich und eine nagelneue Mauer, da die Bauarbeiter die Straße für den öffentlichen Verkehr gesperrt haben.
Es sieht aus, als ob es überhaupt keinen Zweck hat, auf die Suche nach Mauerresten zu gehen. Finden tut man sie nicht mehr, abgesehen von mittlerweile institutionalisierten Stücken in der Niederkirchnerstraße, der Bernauer Straße oder bei der East Side Gallery.
Eine offizielle Mauermarkierung ist in Berlin schon seit Jahren Diskussionsstoff. Der Senat hält sich klugerweise bedeckt, weil er sich die Finger an diesem heiklen Thema nicht verbrennen will. Beim Stadtentwicklungssenator heißt es: „Wir wollen die Mauer in den Köpfen nicht noch weiter zementieren.“ Im Büro von Bausenator Nagel lautet die Parole: „Gott sei Dank weiß man teilweise nicht mehr, wo die Mauer war.“
Diese ignorante Haltung ist Albert Eckert, Kultursprecher der Bündnisgrünen, ein Dorn im Auge. Als einer von wenigen hat er von Anfang an das Thema Mauermarkierung unterstützt. „Man braucht einen langen Atem, um an diesem Thema dranzubleiben“, sagt er jetzt. Ein diesbezüglicher Antrag von ihm wird aller Wahrscheinlichkeit nach heute im Abgeordnetenhaus „durchgewunken“. So viel ist sicher: Wenn es zu einer Mauermarkierung kommt, und es sieht danach aus, wird es kein pompöses Denkmal geben, sondern eine kostengünstige Variante.
Viele Ideen gab es schon, um der Mauer auf symbolische Art zu gedenken. Zwei davon haben letztendlich die bürokratischen Mühlen überstanden. Nach Absprache mit der Senatsverwaltung wurden zu Demonstrationszwecken auf einem kurzen Stück in der Niederkirchnerstraße beide Vorschläge verwirklicht.
Angela Bohnen, eine Berliner Künstlerin, hat blau-rote Intarsien in den Boden eingelassen. Die ein Meter langen Betonbalken sollen in Rot die Westseite markieren und in Blau die Ostseite der Mauer. Gesamtkosten: ungefähr 9 Millionen Mark. Der zweite Vorschlag stammt vom Historiker und Publizisten Gerwin Zohlen. Er will ein Kupferband entlang der ehemaligen Mauer verlegen und hat dafür auch schon ein diebstahlsicheres Modell entwickelt: Das Kupfer wird im Boden fest verankert. Zohlen schätzt die Kosten auf 7 Millionen Mark. Zohlen: „Es ist eine Sache der Psychologie. Erst war da die große Euphorie, als die Mauer abgebaut wurde. Dann kam das Erstaunen und das Bewußtsein der großen Entfernung zwischen Ost und West. Und jetzt sieht man, daß der Wunsch an Erinnerungsformen stärker wird.“
Angela Bohnen hat sich mit ihrer Galeristin und einem Vermögensverwaltungsbüro zum „Förderverein zur Unterstützung der Mauer-Markierung“ zusammengeschlossen. Konkurrent Zohlen dazu: „Solange die Politiker sich nicht entscheiden, gibt es keinen Grund, einen Verein zu gründen.“
Im letzten Sommer gab es auf Senatsebene ein Hearing, auf dem unterschiedliche Experten ihre Sicht über Mauermarkierungen kundtaten.
Monika Geyler, Geschäftsführerin des Berliner Forums für Geschichte und Gegenwart und Mitveranstalterin, findet die beiden Markierungsideen nicht reell. „Berlin hat kein Geld. Eine Mauermarkierung ist umstritten, und die beiden Künstler haben nicht glaubhaft machen können, warum man entweder Beton-Intarsien oder ein Kupferband benötigt, um an die Mauer zu erinnern.“
In der Abschlußerklärung werden die beiden Ideen „mehr oder weniger zur Seite geschoben, um nicht zu sagen: abgelehnt“, erklärt Geyler. „Und da die Berliner Bevölkerung eine wichtige Stimme bei der Mauermarkierung bekommt, wird der Senat die Ausführung und Ideenentwicklung den Bezirken überlassen. Also den Tiefbauämtern und den Kunstbeauftragten der jeweiligen Bezirke“, vermutet Geyler.
Wie gesagt, Pläne und Ideen gibt es genügend. In Berlin ist immer was in Bewegung. Christo brauchte zwanzig Jahre für seine Genehmigung, den Reichstag zu verhüllen. Die Mauermarkierung, so denkt der Außenstehende, braucht mindenstens zehn Jahre.
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