■ Das Portrait: Die Absteigerin
Mit ihrem Rücktritt beendet die türkische Ministerpräsidentin Tansu Çiller eine kurze politische Karriere. Erst 1990 hatte der heutige Staatspräsident Süleyman Demirel sie für die Politik entdeckt. Demirel, damals Vorsitzender der „Partei des Rechten Weges“ (DYP), sorgte für den rasanten Aufstieg der damals 45jährigen Wirtschaftswissenschaftlerin, die in den USA promoviert und sich als Apologetin einer strikten Marktwirtschaft in die Herzen der Geschäftswelt theoretisiert hatte. Nach kaum einem Jahr Parteimitgliedschaft wurde Çiller stellvertretende DYP-Vorsitzende und zog im Oktober 1991 ins türkische Parlament ein. Demirel wurde Ministerpräsident der Koalitionsregierung zwischen DYP und der sozialdemokratischen SHP und machte Çiller zur Staatsministerin für Wirtschaft. Nach dem Tode des Staatspräsidenten Turgut Özal im April 1993 wurde Demirel dessen Nachfolger, und Çiller – diesmal nicht von Demirel unterstützt – setzte sich gegen zwei männliche Gegenkandidaten als Ministerpräsidentin durch.
Çiller, eine Tochter aus gutem Hause, entstammt einer überaus wohlhabenden und westeuropäisch orientierten Istanbuler Oberschichtsfamilie. Zur ersten weiblichen Regierungschefin der Türkei wurde sie, obwohl oder gerade weil sie sich nicht an die islamischen Bräuche anpassen mochte: Schon als sie mit 17 heiratete, überredete sie ihren Mann, ihren Namen anzunehmen.
Tansu Çiller, die gescheiterte türkische Ministerpräsidentin Foto: Reuter
Einmal Ministerpräsidentin, versuchte Çiller zunächst, über den Austausch praktisch aller DYP-Minister im Kabinett einen Akzent zu setzen. Aber die wesentlichen Vorhaben ihrer Regierungszeit scheiterten. Die Kurdistanpolitik kontrollieren weiter die Militärs, die zu keiner Verständigung mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) bereit sind. „Die Dame gehorcht doch jetzt schon aufs Wort“, soll ein hoher Beamter gesagt haben, um die Gefahr eines neuen Putsches der Generäle zu dementieren – und Çiller selbst sprach von der „Endlösung der Kurdenfrage“.
Die Kurdistanpolitik und die Menschenrechtslage der Türkei behinderten auch die Anbindung an Westeuropa – und nicht zuletzt deshalb konnte Çiller auch ihre wirtschaftspolitischen Vorhaben nicht einmal annähernd verwirklichen. Auf unter 50 Prozent hatte sie die jährliche Inflation eindämmen wollen – bei 90 Prozent ist sie gelandet. Nun ist die steile Karriere der Tansu Ciller vorerst vorbei. Bernd Pickert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen