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Ich habe etwas gesehen!

„Alles, was ihr wissen wollt, steht in meinen Erinnerungen“. Am 90ten: Ein Traum mit Max Schmeling  ■ Von Peter Unfried

An dem Tag war nichts losgewesen. Draußen wurde es schon langsam dunkel, und ich dachte bereits daran, nach Hause zu gehen. Da stand plötzlich doch noch eine Gestalt in der Tür: Richtig hell wurde es plötzlich, so daß ich das den Mann nicht richtig sehen konnte. Erst als er drei Schritte ins Innere machte, sah ich sein Gesicht – und erblaßte. Er sagte: Man hat mir von ihrem Museum erzählt. Ich fürchtete, kein Wort herauszubringen. In das Licht hinein schließlich krächzte ich: „Sie glauben gar nicht, was das für eine Ehre ist.“ Max Schmeling winkte ab.

Der nachfolgende Text setzt sich hauptsächlich aus Zitaten zusammen, die Schmelings Autobiographie „Erinnerungen“ entnommen und neu montiert worden sind.

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Es stimmt: ich habe etwas gesehen. Doch: Alles, was ihr wissen wollt, steht in meinen „Erinnerungen“. Meine Lebensgeschichte habe ich x-mal erzählt. Heute ist mein 90ster Geburtstag, und da versteht es sich von selbst, daß viel Neues in den letzten Jahren nicht mehr zu erzählen ist. Ich kann nicht mehr ohne Brille lesen. Ich verabscheue Alkohol, verabscheue Nikotin, ich bin immer früh ins Bett, und ich war nie politisch. Aber: Die letzte Lungenentzündung habe ich nicht mehr weggesteckt, wie noch die vorletzte. Manchmal geraten mir meine Gedanken fiebrig. Dann sehe ich etwas, träume ich alles.

2

Natürlich war das Boxen meine Welt. Ich schulde ihm alles, was ich bin. Aber: Daß ich zum Idol wurde, verdanke ich mehr der Zeit als mir selber. Denn die Zeit verlangte nach Helden, und sie schuf sie sich. Das Kino hat mehr zur Vereinheitlichung der Welt beigetragen als der Völkerbund. Und uns, die wir davon lebten, gab es eine weltweite Popularität, größer als die der gestern noch regierenden Monarchen. Denn unsere Art zu gehen und zu stehen kannte jedes Schulkind. Das gab der Epoche eine unheimliche Beschleunigung.

3

Mein Name ist Maximilian Siegfried Adolpho Otto Schmeling, geboren am 28. September 1905 in Klein Luckow, Vorpommern, als zweites von drei Kindern des Steuermannes Max und der Bauerntochter Amanda. Ich wurde protestantisch erzogen. In Bumshäusern zu trainieren wäre mir nie in den Sinn gekommen. Ich schloß die Volksschule ab, ich machte eine kaufmännische Lehre. Ich sah im Kino Jack Dempsey gegen Georges Carpentier boxen. Danach kaufte ich mir Boxhandschuhe.

I have zeen zomething. Das ist mein Satz.

Daß es in Deutschland Konzentrationslager gab, war kein Geheimnis. In Wahrheit haben wir es alle gewußt. Sie können Herrn Jacobs nicht unterbringen, weil er Jude ist? So habe ich den Empfangschef des Hotels im März 1935 gefragt. Hatte denn nicht wirklich der Nationalsozialismus den Körper gegen den Geist ausgespielt? Und wenn er eine Symbolfigur hatte, die der Jugend als Leitbild diente, so war es, neben dem Soldaten, der muskelgestählte Athlet.

4

Ein Telegramm: Göring sagt mir einen kapitalen Hirsch zu.

Ein Telegramm: Walter Scheel sagt mir, ich sei „Deutschlands Sportler Nummer eins auf Lebenszeit.“ Scheel?

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I have zeen zomething! Jedesmal, wenn Joe Louis mit der Linken seine kurzen, gefährlichen Haken schlug, ließ er im Anschluß daran den linken Arm fallen.

Die Distanz, aus der heraus ein Boxer seine gefährlichsten Schläge anzusetzen pflegt, ist bei der Analyse eines Kampfstiles nahezu entscheidend: denn man kann den Gegner gerade dadurch ausmanövrieren, daß man sich auf seine Distanz überhaupt nicht einläßt. Ich habe meine Gegner studiert, ich bin erst zur Offensive übergegangen, wenn ich ein Konzept für meinen Konterstil gefunden hatte. Verstehen Sie, warum ich Henry Maske liebe? Nicht Rocchigiani.

Ich trinke meine erste Coke. Es ist 1928.

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Ich sehe: Wie seine Arme herabfallen. Joe Louis ist fertig, und vollkommen benommen wendet er mir jetzt endlich seinen Kopf zu, wie ich es seit zwölf Runden haben wollte. Es ist die Entscheidung.

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Ich vergesse. Diese Stimme nicht. „Haben Sie gelesen, was ich in ,Mein Kampf‘ über den erzieherischen Wert des Boxens geschrieben habe? Ich sage ja allen, dem Schirach und dem Tschammer, daß man das Boxen in den Schulen einführen muß. Goebbels, hören Sie: Dieser Film muß als Hauptfilm laufen! Im ganzen Reich!“

Max Schmelings Sieg – ein deutscher Sieg.

Der immer wieder geäußerte Vorwurf, ich sei Repräsentant des dahingegangenen Reiches, verletzt und deprimiert mich.

8

Boycott Nazi Schmeling!

22. Juni 1938: Nach 124 Sekunden schleppe ich mich zu Louis und gebe ihm die Hand.

Für Hitler wie für Goebbels existierte ich nach dieser Niederlage nicht mehr.

9

Berlin. Vor dem Krieg. Das Romanische Café. Kortner. Lubitsch. Hanussen, George. Manche kamen zurück.

Hamburg. Nach dem Krieg. Axel Springer. Wir blieben befreundet.

Ich fahre mit meiner Harley nach Eberswalde. Ich gerate auf Schotter ins Rutschen. Meine Schwester Edith ist 14. Meine Schwester Edith ist tot.

Ich sage: „Hören Sie, Herr Grosz, warum sind auf Ihren Bildern die Menschen alle dickschädelig, glatzköpfig und mit fetten Bäuchen dargestellt?“ Grosz lacht.

Boxkampf ist wie Schachspiel.

Mein Testament stand schon lange vor Annys Tod. Wir waren uns einig, unser Vermögen dem SOS- Kinderdorf zu hinterlassen. Ein Autounfall, der zu einer Fehlgeburt führte, hatte alle unsere Hoffnungen zerstört.

10

Vor einigen Jahren wurde in Arizona ein Farbiger in der Gaskammer hingerichtet. Als die Kapseln zu Boden fielen, rief er: „Joe Louis, save me. Save me, Joe Louis!“ Die Namen anderer berühmter Athleten sind ausgelöscht; die der Weltmeister im Schwergewicht nicht.

Es gibt kein Weiterleben als Subjekt. Einzig in der Erinnerung.

11

Ein öffentlicher Regimegegner war ich nicht.

Ich würde alles wieder genauso machen.

12

I have zeen zomething.

Ich ging mit Max Schmeling durch die Räume. Alles wollte er ganz genau wissen. Sehr schön, sagte er. Er hieß seinen Fahrer die Limousine starten. Ich stand da, mit meinem Besucherbuch in der Hand. Erst viel später merkte ich, wie dunkel es plötzlich war, und daß ich vergessen hatte, ihn sich in das Buch eintragen zu lassen.

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