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Den Müttern stinkt's

■ Neues Heft des Schöneberger Amtes für Frauen enthält jede Menge Schimpferei über den "Mütteralltag". Frauen markierten Hundescheiße mit Papierfähnchen

Streß von Anfang an. „Werden Sie mal auf einer öffentlichen Toilette gestillt!“ motzt eine Mutter. „Die Ämterrunde gleich nach der Geburt des Kindes ist eine Frechheit. Alles in einem Extra-Amt mit Öffnungszeiten, die sich nicht koordinieren lassen. Unterm Arm das Neugeborene (es gibt ja keine Fahrstühle für den Kinderwagen), das mitbekommt, was Mief, Zugluft, Zigarettenrauch sind.“

Die gerade erschienene Broschüre des Schöneberger Amtes für Frauen über den „Mütteralltag in der Stadt“ enthält jede Menge solcher Frustkanonaden. Die Zitate entstammen Fragebögen des Amtes, die von 124 Müttern und einem Vater ausgefüllt wurden. An erster Stelle der verdammt weit nach oben gehenden Wutskala steht der Verkehr. Vor allem seine stinkende Abart. Wiewohl Autos bekanntlich nicht spielen, höchstens mit dem Leben von Kindern, stehen ihnen zum Beispiel in Schöneberg 530.000 Quadratmeter Fläche zum Dummrumstehen zur Verfügung. Das ist genau sechs Komma fünf mal mehr Platz als für die Kinder auf Spielplätzen. Was gar nicht weiter wundert, denn Autos sind unserer Gesellschaft ziemlich genau 6,5 mal wichtiger als Kids.

Wahrscheinlich müssen Kinder bald auf die rote Liste gesetzt werden. „Die Überquerung der Straße an Kreuzungen kann auch für wohldressierte Kinder lebensgefährlich werden, wenn abbiegende Autos nicht rechtzeitig bremsen“, schimpft eine Mutter. „Fahrradfahren mit Kindern im Fahrradsitz ist auf der Straße lebensgefährlich, auf dem Bürgersteig verboten“, mosert eine andere.

Aber warum fahren Kinder auch durch die Gegend? Besser sie bleiben zu Hause: „Meine Nachbarn klopfen wie verrückt an die Decke, wenn mein Kind in der Wohnung läuft. Mein Kind kann leider nicht fliegen.“ Oder sie gehen brav mit Mama einkaufen: „,Wie können diese verantwortungslosen Mütter ihre Kinder in so ein Gewühl mitbringen?‘ – ,Sehr richtig, meine Dame, das nächste Mal schicke ich meine Kammerzofe!‘“.

Am besten also, die Kinder bleiben in ihren Reservaten: „Unsere Schulhöfe, Spielplätze und Kita- Höfe sind voller Spritzen und Kondome.“ „Die viele Hundescheiße auf unseren Fußwegen. Ständig muß man die Scheiße aus den Schuhsohlen der Kinder kratzen!“

So viel Scheiß und kein Ventil. Der Mütter-Aktionskreis, der sich auf Initiative des Amtes für Frauen gründete, wurde zur Wutsammelstelle. Ein Dutzend Frauen schwärmte im letzten Jahr durch den herbstlichen Lassenpark und markierte 120 Hundehaufen mit orangenen Papierfähnchen.

Statt Scheiße zu kratzen, sollte Mutti also lieber öfter mal kollektiv „Scheiße“ brüllen. Aber: „Ärger ist für mich eine Energieverschwendung, die ich mir nicht leisten kann, denn ich habe noch immer das Gefühl, mit dem Rücken zur Wand zu kämpfen und mir dabei sagen lassen zu müssen: Nun gehen Sie doch schon zur Seite, Sie sind hier mit Ihrem Balg im Weg; Sie stören den freien Verkehrsfluß, nehmen Karrierebewußteren den Arbeitsplatz weg, hindern Erzieher an ihrem wohlverdienten Feierabend, stören die Ruhe im Haus und sind auch sonst eine recht zweifelhafte Person.“ Ute Scheub

Das Heft kann im Amt für Frauen, Rathaus Schöneberg Zi. 136, Tel. 783 87 23, abgeholt werden.

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