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Judy Garland küßt den Boden Von Andrea Böhm

Es ist so weit. Er ist wieder da. Heute kommt er an – und die AmerikanerInnen erweisen ihm die größte derzeit vorstellbare Ehre: Sie lassen sich für ein paar Stunden vom 0.-J.-Simpson-Urteil ablenken.

Seine Heiligkeit, Papst Johannes Paul II., betritt heute zum vierten Mal in seiner Berufungslaufbahn amerikanischen Boden – im Schlepptau Kardinäle, Leibarzt, Papstmobil und ein paar Angehörige der Schweizer Garde. Ankommen, Boden küssen – und dann geht's los: Segnen, segnen und nochmal segnen, vor allem die UNO. Die wird 50 und kann's brauchen. Suppenküchen besuchen und mit auserwählten Obdachlosen speisen; Stippvisiten in Kathedralen und Rosenkränze beten. Dann kommen die Messen für die Massen in den Football- respektive Baseballstadien von New Jersey und Baltimore. Dort wird er je 80.000 Oblaten in einem Aufwasch segnen, die dann innerhalb von zehn Minuten (!) von mehreren hundert „speziell trainierten“ Laienpredigern auf gläubige Zungen gelegt werden sollen. Man muß schon ein paar Kreuzzüge hinter sich haben, um solche Auftritte logistisch in den Griff zu kriegen. Die Frage drängt sich auf: Wie sieht das „spezielle Training“ für einen Laienprediger im Stadioneinsatz aus? Geht es um die Verbesserung der Hand-Augen-Koordination? Um die Stärkung der Unterarmmuskulatur? Oder wird gar mit einem Mini-Frisbee Zielwerfen trainiert?

Nun ist die Popularität des pope in den USA keineswegs selbstverständlich, wenn man die Geschichte des Landes betrachtet. Hier stellten von Anfang an die Protestanten die Mehrheit. Katholiken, ob in Gestalt irischer, italienischer oder mexikanischer Einwanderer, wurden nicht gerade mit christlicher Nächstenliebe aufgenommen. Der Vatikan tauchte in unzähligen Verschwörungspamphleten immer wieder als Zentrum des Bösen auf. Noch 1960 munkelte man, daß John F. Kennedy, der erste Katholik im Weißen Haus, seine Befehle vom Papst entgegennehme.

Und selbst die 60 Millionen Katholiken in den USA gehören eher zur aufsässigen Sorte. 79 Prozent erklärten in einer Umfrage vor zwei Jahren, daß sie in moralisch verzwickten Fragen wie Abtreibung, Aufhebung des Zölibats oder Ordination von Frauen lieber auf ihr eigenes Gewissen hören als auf den Papst.

Was also macht ihn so beliebt in den USA? Der Umstand, daß er alt und gebrechlich ist, und seine Auftritte wie eine übermenschliche Anstrengung ähnlich der „letzten Konzerte von Judy Garland“ wirken, glaubt die Washington Post. Da ist was dran. Doch sollte man nicht unterschätzen, daß dieser Papst wie kein anderer die Gesetze des Showgeschäfts begriffen und einiges bei seinen protestantischen Brüdern aus der Branche der televangelists abgeschaut hat. Auch die Kommerzialisierung seiner Person. Im Auftrag der katholischen Erzdiözesen in den USA werden anläßlich des Besuchs Baseballkappen, T-Shirts, Wasserflaschen und Telefonkarten mit seinem Konterfei angeboten. Wer mehr an körperlicher als an seelischer Hygiene interessiert ist, dürfte auch dieses Jahr wieder mit der Seifenimitation des Papstes samt praktischer Baumwollkordel, der „Pope-on-a-Rope-Soap“, ganz auf seine Kosten kommen. Andrea Böhm

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