■ Lettland: Rechtsextreme Gewinner der Wirtschaftsmisere: Baltische Warnung
Joachim Siegerist und seine rechtsnationalistische „Bewegung für Lettland“ sind die überraschenden Sieger der lettischen Parlamentswahlen. Jeder dritte Wahlberechtigte stimmte für eine rechtsextreme Partei und jeder zweite für Parteien, die man unter dem Stichwort „populistisch“ einordnen kann. Ein Ergebnis, das nicht nur Chaos im Parlament von Riga verspricht, sondern auch ein deutliches Warnzeichen ist – für die baltischen Staaten, aber nicht nur für sie.
Schlimm ist, daß man Siegerist, soweit er 80 Prozent aller PolitikerInnen als korrupt und als Bankrotteure beschimpft, nicht einmal widersprechen kann. Faktisch ist Lettland bankrott und wird nur durch westliche Kredithilfe über Wasser gehalten. Nahezu das gesamte Bankenwesen ist zusammengebrochen und die Profiteure dieser Skandalgeschichte, bei der die Hälfte der LettInnen ihre Spargroschen verloren hat, saßen auch in Ministersesseln. Ein Großteil der Bevölkerung lebt unter dem Existenzminimum, die kleine Schicht der Neureichen mästet sich. Sie kassieren offenbar die Westhilfe ab, eine „gigantische Verschwendung“, wenn man dem gerade veröffentlichten Bericht der EU-Revisoren glauben darf. Die seit der Unabhängigkeit für diese soziale Katastrophe verantwortlichen PolitikerInnen haben nun von den Wählern eine schallende Backpfeife erhalten.
Der Haken dabei: Diese vorwiegend braun-populistische Oppositionsschar hat auch kein Rezept für Lettlands Misere. Man verspricht, sich zum Sprachrohr der Geknechteten und Vergessenen zu machen. Aber andere Politikansätze sind nicht zu erkennen. In Estland und Litauen bevorzugte die um das gelobte Wirtschaftswunder gebrachte Bevölkerung beim zweiten Wahlversuch die gewendeten Altkommunisten. Auch in Lettland wurden diese jetzt gestärkt, doch eine Mehrheit sucht das Heil ganz rechts. Und läßt sich dabei nicht einmal von zweifelhaften Figuren wie einem Joachim Siegerist abschrecken. Schon werden böse Parallelen zu dem schon zu Nazizeiten so bereitwillig erbraunten Lettland gezogen. Mit solchen Wahlergebnissen kann man alle Chancen auf eine baldige Annäherung an Europa und die Nato vergessen. Nicht nur in Lettland, sondern auch in den baltischen Nachbarländern. Wobei zu befürchten steht, daß beim nächsten Wahltag auch dort das Pendel weit nach rechts ausschlagen könnte. Wenn die sozialen Gräben weiterhin vertieft werden. Reinhard Wolff
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