: „Brecht würde lachend den Saal verlassen“
■ Brecht-Tochter Mari Barbara verklagt den französischen Verlag Fayard wegen Verleumdung
Darf man das? Über Bertolt Brecht, den Mann der die Dramaturgie dieses Jahrhunderts revolutionierte, schreiben, daß er ein „Parasit und Verräter“ war? Daß er seine Maitressen schamlos ausbeutete, ihnen Ehen in Aussicht stellte, während er ihre Ideen und Texte unter seinem Namen veröffentlichte? Daß er ohne fremde Hilfe gar nicht in der Lage war zu schreiben. Daß er ein unterdrückter Homosexueller war. Daß er seine Tochter Mari Barbara nicht mit Ehefrau Helene Weigel, sondern mit dem Dienstmädchen Mari Hold hatte. Daß er ein Antisemit war. Und ein politischer Opportunist dazu.
Der US-Amerikaner John Fuegi, Germanist und Literaturwissenschaftler an der Universität Maryland, hat es getan. Er ist Experte auf dem Gebiet der Brecht-Forschung, Gründer der „International Brecht Society“, deren Chef er jahrelang war, und er hat in 25jähriger Kleinarbeit einen Teil des Lebens des Meisters rekonstruiert. Er recherchierte in Archiven in Berlin und Harvard, sprach mit Angehörigen und Freunden des Verstorbenen und hatte – wie er selbst schreibt – anfänglich nicht den geringsten Verdacht. Dann brachte er die Elemente seiner Recherche zusammen und stieß auf erste Inkongruenzen: Allen voran jene, daß Brecht sein Werk nicht allein verfaßt hat.
Der Vorwurf des Ideenklaus ist seit Jahrzehnten bekannt. Doch als der Amerikaner im vergangenen Jahr auf über 800 Seiten das Gesamtergebnis seiner Forschung veröffentlichte – einschließlich zahlreicher Details über das sexuelle und politische Leben von Brecht – gab es dennoch Empörung. Von „Fälschung“ war die Rede, von einer „unglaublichen Agressivität“ gegen Brecht.
Solange das Buch in den Vereinigten Staaten und später auch in Großbritannien erschien, war rechtlich schwer etwas dagegen auszurichten. Doch als das Buch jetzt auch in Frankreich herauskam, schlug die in Berlin lebende Tochter Mari Barbara Brecht- Schall zu: Unter Berufung auf den Code Civil fordert die heute fast 65jährige Tochter 500.000 Francs (knapp 150.000 Mark) Entschädigung sowie die Veröffentlichung richtigstellender Anzeigen in den Medien.
Eine Polemik über das Buch hatte Olivier Bétourne von der Verlagsleitung Fayard in Paris erwartet. Doch genau das entspreche der verlegerischen Linie bei der Herausgabe von Dokumenten.
Weder die Klägerin noch der Autor waren zu dem Gerichtstermin erschienen. Die Rechtsanwältin Cathérine Postel-Vinay beklagte, daß in der angelsächsischen Welt „derartige Veröffentlichungen“ nicht selten seien. Ihre Mandantin, deren Herkunft mütterlicherseits angezweifelt sei, fühle sich verletzt. Sie klage weiter gegen den Vorwurf des Antisemitismus und gegen den Vergleiche Brechts mit Hitler und Stalin.
„Brecht würde diesen Saal mit einem schallenden Lachen verlassen“, konterte der Anwalt des Verlags Fayard, Daniel Soulez Larivière, der die Lektüre außerordentlich genossen hatte. Das Buch beschreibe Brecht in seiner komplexen Widersprüchlichkeit, und rufe eine ganze Epoche, die Weimarer Republik, ins Leben. Bei den konkreten Vorwürfen, so den Zweifeln an Weigels Mutterschaft bei Mari Barbara, habe der Autor Fuegi stets sehr vorsichtig formuliert. Hinter der Klage von Brecht- Schall vermutete der Anwalt das bereits aus anderen Fällen bekannte Phänomen von „Frauen, Schwestern und Töchter großer Männer“, die das Ansehen des Verstorbenen besonders rein halten wollten.
Sollte die Klage erfolgreich sein, so der zweite Fayard-Anwalt, der bekannte Penalist Henri Leclerc, dürften künftig in Frankreich nur noch „brave Historiker“ veröffentlichen. Diejenigen mit den gewagten Thesen müßten auf den angelsächsischen Markt ausweichen. Dort könnten die Experten über Werke diskutieren, die in Frankreich Gerichte beschäftigten ...
Das Urteil wird am 22. November verkündet. Sollte die Klägerin gewinnen, könnte die Veröffentlichung des Buches – auch im deutschsprachigen Raum – zu einem teuren Unternehmen werden. Allerdings hat Penalist Leclerc bereits angekündigt, daß er notfalls bis vor ein Europäisches Gericht gehen wird, um die Freiheit der Forschung zu verteidigen. Dorothea Hahn
John Fuegi: „Brecht & Cie“, Fayard, Paris 1995, 877 Seiten, 240 Francs. US-amerikanische Erstausgabe: „Brecht and Companie“, Grove Press, New York 1994
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen