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Dschungelbuch für Erwachsene

■ Im neuen „Übersee“-Lokal basteln die HandwerkerInnen an einer schrillen Atmosphäre aus Kolonialwaren und Dschungelmärchen – alles in Rekordzeit: Am Donnerstag ist Eröffnung

Schwer schlagen die massigen Palmenblätter über Mowgli, dem Inderjungen, zusammen. Wo er eben noch gestanden hat, ist jetzt wieder Dschungel. Vor ihm liegt nur noch das abgrundtiefe Grün des Dschungels. Aber er fühlt sich sicher. Kaa, die Pythonschlange, und Balloo, der Bär, haben ihm genug beigbracht, um die Gefahren zu erkennen und den Entscheidungskampf gegen Shere Khan zu wagen.

Das ist der Stoff aus dem die Träume sind, die Rudyard Kipling vor genau einem Jahrhundert gewebt hat. Walt Disney weiß seit Jahrzehnten mit dem „Dschungel Buch“ Kinder in aller Welt zu begeistern. In Bremen gerät jetzt eine andere Altersgruppe ins Visier. Mit der „Kipling-Lounge“, im Restaurant der Überseemuseums wollen die Bremer Gastronomen Laci Klein und Ulrich Mickan ab der nächsten Woche Hanseaten im besten Konsumalter für den Traum von „Übersee“ gewinnen und in die neugestalteten Räume des Völkerkunde-Museums am Bahnhofsplatz locken.

Zu Zeit huschen auch des nachts an den hell erleuchteten Fenstern Gestalten vorbei. Denn bis zur Eröffnung läuft die 24-Stunden-Schicht. Filterlose Zigaretten in den Mundwinkeln und 5-Tagebärte, so trifft man sie an, die KunsthandwerkerInnen aus aller Herren Länder, die hier für die Bremer Gastronomen Delfter Kacheln für den Rauchsaloon immitieren, im Dschungel den Sternenhimmel aufhängen oder die Eingangssäulen mit großen Palmen verzieren. Identifikation mit dem Projekt vom Übersee-Traum herrscht vor auf dieser Baustelle, die eher an die Bühnenbildwerkstatt eines Theaters kurz vor der Premiere erinnert.

In nur sechs Wochen nach der Vertragsunterzeichnung wird aus der nüchtern geweißelten Cafeteria beim Bahnhof eine bunte Welt der leiblichen Genüsse, die die Phantasie auf die Reise zu anderen Kontinenten schickt.

Und das läßt staunen. Schließlich begreifen sich deutsche Museen im Allgemeinen als öffentliche Institutionen, die einer Kooperation mit Geschäftsleuten aus der Privatwirtschaft äußerst mißtrauisch gegenüberstehen. Und nun gibt plötzlich das Überseemuseum Restauration, Museumsshop und auch Veranstaltungsräume in private Hände. „Das ist das erste Mal in Deutschland, daß man sich zu einem solchen Schritt entschlossen hat“, ist sich Ulrich Mickan der Targweite bewußt. „Für die Museen sind ja die fetten Jahre schon lange vorbei. Keiner hat mehr Geld. Andererseit gibt es aber seit 7, 8 Jahren eine Renaissance der Museumskultur. Das ist eine interessante Situation. Viele Leute aus der Branche warten gespannt, wie das Experiment Übersee ausgeht.“

Dafür hat man sich die Trends in der Branche nicht nur in Deutschland angesehen . „Wir sind überall rumgefahren und haben uns umgeschaut. In den USA haben die Museen die Proficenter fast immer privatisiert. Und das läuft sehr gut, die Shops sind auf den Markt abgestimmt und schreiben schwarze Zahlen.“

Der Schritt an sich ist schon mutig, noch risikofreudiger muß es da scheinen, daß nicht die gutbürgerliche Küche hier demnächst aufgetragen wird. Die Fläche ist verdoppelt, man wird das Übersee von morgens bis spät abends zu den üblichen Kneipenöffnungszeiten aufmachen, im Sommer Tische und Stühle auf den Bahnhofsvorplatz stellen und mit dem „gelben Salon“ einen zusätzlichen Veranstaltungsort betreiben. Weder vor einer Tanzveranstaltung mit dem Namen „Musik ist Trumpf“ noch vor einem ovalen Tisch a la König Artus' Tafelrunde schreckt man zurück. Denn was das schillernde Gastronomenpaar Laci Klein und Ulrich Mickan auszeichnet, ist neben einer gehörigen Portion Wahnsinn absolute Schwindelfreiheit beim Balanceakt auf dem Schwebebalken der Stile. Seit Jahren sind die Bremer Kneipen der Sowjetskij-Nepp-Lokale „Sewastopol“ und „Oblomow“ Orte an denen sich Datschen-Seeligkeit mit dem Charme der Moskauer Metro paart. Im Schnoor lädt dafür das „Scusi Tedesci“ zur Volksküche aus einer Italoschmonzette an rot-weiß-karierten Tischen ein.

Als seien diese Highlights in der Bremer Gastro-Szene nur die Pflichtrunde gewesen, auf die die Kür folgt, quirlen Mick & Laci den Stilmix nun noch einmal kräftig durch. Und plötzlich hat alles nebeneinder Platz: Schwülstige Dschungelwandgemälde in der Kipling-Lounge, daneben dann ein Rauchsalon, in dem statt der Meerschaumpfeife alte Kachelm mit einem ovalen arabischen Gesicht die altertümliche Atmosphäre von Kolonialwaren wieder entstehen lassen; daneben prunkt ein riesiges Buffet, eingerahmt von Art Deco Mosaiken, die die Exotik fremder Speisen zur Geltung bringen sollen.

Wie läßt sich dieser fröhliche Eklektizismus der Kneipiers mit der seriösen Wissenschaft der Museumsleute verbinden? „Ja, die Museumsleute kommen manchmal mit erhobenen Finger. Aber unser Vorbild ist „Indiana Jones“. Wir glauben, das der doch eigentlich zwei Doktorentitel hat, einen für Archäologie und den anderen für Geschichte. Oder?“ Symptomatisch war die die Auseinanderstetzung um die Bestuhlung. Kaum hatte Malerin Daniela aus Italien begonnen, die nüchternen Naturholzstühle mit einem Motiv von einer schwarze Frau zu bemalen, da gab es Protest. „Eine Museumspädagogin kam empört auf uns zu. ,Wenn Sie das jetzt auf einen Stuhl malen, das ändert doch die Bedeutung. Das ist doch rassistisch, Sie setzten sich doch dann einer schwarzen Frau in den Schoß'“. Laci Klein kann seine Verblüffung über diesen Einwand kaum ausdrücken. Er grinst. „Manchmal ist es wie unter den Protestanten in der Kirche, und dann wundern sie sie warum so viele austreten.“

Kein Wunder, daß dieser Mischmasch der Kulturen politisch unproblematisch nur auf der Speisekarte ist. Da begegnen uns neben Röstini „Gone by the Wind“ auch ein „Gamba-Spiess“ mit Lemon-Grass und Kurkuma neben Fischgerichten der Cajunküche und chinesischen Dim-Sum Vorspeisen. Bekanntes Küchen-Multi-Kulti nur auf gepflegtem Nivau. Fast selbstverständlich, daß Küchenchef Raymond Damasse nicht aus Bremen Nord, sondern aus Paris ins „Übersee“ kommt. Susanne Raubold

Eröffnung am Do. 12.10. um 20 Uhr, Eröffnungsprogramm mit Einlagen, Eintritt frei

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