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Grüne: Der Staat soll entlassen

■ Abgeordnete Linnert und Vorstand Heck fordern Kündigungen im Öffentlichen Dienst

Die grüne Sozialpolitikerin Karoline Linnert ist sich schon im voraus sicher: „Dafür werde ich viele Prügel bekommen.“ Als erste Bremer Politikerin fordert sie offen die Aufhebung der bisher stets beachteten Unkündbarkeit im Öffentlichen Dienst. „Ohne Entlassungen wird es nicht mehr gehen“, sagte sie gestern gegenüber der taz, „es kann doch nicht angehen, daß der gesellschaftliche Kernbereich immer weiter dafür sorgt, daß sich für ihn nichts ändert, und an den Rändern knallt es.“

Gemeint sind die dramatischen Folgen, die sich mit den Haushaltsplanungen der Großen Koalition für die nächsten Jahre abzeichnen. Danach sollen zum Beispiel die Bereiche Jugend, Soziales und Gesundheit bis zum Jahr 2.000 rund 600 Stellen abbauen. Selbst bei voller Ausnutzung der normalen Fluktuation von drei Prozent im Jahr lassen sich jedoch nur 200 Stellen einsparen. Die Kosten der restlichen 400 Stellen müßten demnach voll in eine Kürzung der Zuschüsse für die freien Träger im Sozial-, Jugend- und Gesundheitsbereich umgelegt werden. Dies würde fast auf eine Halbierung dieses heute noch 84 Millionen Mark im Jahr umfassenden Topfes hinauslaufen.

„Entlassungen wird es also sowieso geben“, folgert die ehemalige grüne Fraktionssprecherin Linnert, „aber warum immer nur bei den freien Trägern.“ Die seien schließlich anerkanntermaßen oft „innovativer, unbürokratischer und billiger“ als staatliche Dienststellen. Außerdem sei es doch auch von der Sache her in vielen Bereichen besser, soziale Hilfen staatsfern zu organisieren.

Noch radikaler als Linnert will der grüne Landesvorstandssprecher Hucky Heck in die Sicherheit des Öffentlichen Dienstes eingreifen. „Ein Drittel des gesamten Mittelbaus in den Behörden ist überflüssig. Es gibt einige Ämter, die könnte man komplett schließen, und es würde keinem auffallen“, meint er und fügt an: „Ich habe als ehemaliger Ortsamtsleiter da Erfahrung.“ Spontan fallen Heck und Linnert die bauenden Ämter im Hafen und an der Uni ein oder die staatlichen KFZ-Werkstätten.

An Entlassungen im Öffentlichen Dienst gehe schon deshalb kein Weg mehr vorbei, „weil wir die Knete nicht mehr haben, die Leute zu bezahlen – von den Pensionskosten ganz zu schweigen“, so Heck. Jetzt sei es „Zeit zum Handeln, und das wird weh tun“. Natürlich sollte mit Kündigungen so „sozialverträglich wie möglich“ und nicht gerade „bei den unteren Lohngruppen“ begonnen werden.

29.000 Personen sind nach den September-Zahlen der Senatskommission für das Personalwesen (SKP) im engeren Bereich des Bremer Öffentlichen Dienstes beschäftigt (ohne Zentralkrankenhäuser, Azubis und Universitätsangestellte, die aus Drittmitteln finanziert werden). 13.600 von ihnen sind Beamte und damit sowieso unkündbar.

Doch auch die restlichen 10.800 Angestellten und 4.500 ArbeiterInnen können nach dem geltenden bundeseinheitlichen Tarifvertrag nur dann gekündigt werden, wenn sie noch keine 15 Jahre im Staatsdienst stehen oder jünger als 40 Jahre alt sind. Dies trifft auf gut 9.400, also knapp zwei Drittel der Angestellten und ArbeiterInnen im Bremer Staatsdienst zu.

Ob der Staat unabhängig davon allerdings überhaupt zum Mittel der „betriebsbedingten Kündigung“ greifen darf, ist unter JuristInnen umstritten. Schließlich kann das Land Bremen nicht einfach wie ein Wirtschaftsunternehmen auf mangelnde Aufträge verweisen. Und noch hat Bremen über eine Milliarde Mark im Jahr an Investitionsmitteln zur Verfügung. Erfahrungen, wie Arbeitsgerichte deshalb im konkreten Fall entscheiden würden, gibt es nicht.

Bisher wurde der Vorstoß von Linnert und Heck in den grünen Gremien noch nicht diskutiert. Die Fraktion hat sich bisher auf die Forderung nach weitergehender „Privatisierung“ einzelner Staatsbereiche beschränkt, und der Landesvorstand hat gerade mit anderen Sorgen zu kämpfen. Heck: „Wir müssen uns erstmal um die Sparmaßnahmen im eigenen Laden kümmern. Sonst läuft die Partei demnächst in die Pleite.“ Ase

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