: Der Weg zum richtigen Spektakel
Trotz protzischer Mängel bei der Titelverteidigung gegen Philippe Michel: WBO Weltmeister Dariusz Michalczewski bewegt sich deutlich in Richtung Maske/Rocchigiani ■ Aus Frankfurt Peter Unfried
Frankfurt Downtown in der Nacht leuchtend. Zwei Premieren. Wenn man aber real vom Hauptbahnhof zur Festhalle geht, ist es öde, verlassen, sinnentleert.
Einer schlägt sich durch
Beim Boxen, das ist ja selbstverständlich, geht es darum, daß der eine den anderen umschlägt. Für Geld. Zur Zerstreuung. Den Boxer Dariusz Michalczewski serviert sein Fernsehsender gern mit einer Schramme im Gesicht, einer klitzekleinen nur. Diese symbolisiert die vermeintlich domestizierte Variante einer atavistischen Botschaft: Einer schlägt sich durch.
Michalczewski hatte aber gar keine Schrammen, nachdem Samstag nacht sein WBO-Halbschwergewichtstitel freiwillig verteidigt war. Und das, obwohl er gegen den französischen Rechtsausleger Philippe Michel (30) bei der 4. Titelverteidigung zum ersten Mal bis zum Schlußgong der 12. Runde hatte im Ring bleiben müssen. Das Ergebnis war klar (120:108, 115:110, 120:108), und Klaus-Peter Kohl, sein Chef, sprach hinterher unaufhörlich davon, er sei „ganz froh, daß es über alle Runden gegangen“ sei.
„Hätte er ihn in der zweiten Runde ausgeknockt, hätte wieder jeder von Fallobst gesprochen.“ Damit hat Kohl natürlich recht. Andererseits offenbart ein Michalczewski-Kampf, je länger er dauert, desto drastischer die Defizite dieses Weltmeisters. Der Mann trifft gern – doch verharrt er danach in der Halbdistanz, bis auch er getroffen ist. Das konnte er sich gegen den Non-Knockouter Michel erlauben, dessen Treffer ohne Wirkung blieben. „Die Schläge“, sagte Michalczewski, „waren fast da.“ Wischten dann aber doch nur.
Illusion Michalczewski
Immerhin hat der Weltranglistenboxer Michel in René Aquaviva einen gewieften Trainer, den Michalczewski hinterher mehr gelobt hat als dessen Boxer. Den hatte der gelehrt, sich stets außerhalb der Reichweite von des Weltmeisters linkem Haken aufzuhalten. Und auf die taktischen Fehler des „Dariusz Leichtfuß“ (Kohl) zu warten. Die kamen zuhauf, Michalczewski mußte, wie Ex-Europameister Karl Mildenberger sah, „immer wieder einfangen“. Doch für Michel waren allenfalls zwei Runden, kein Titel zu holen, aber ein K.O. zu vermeiden. Michalczewski merkte „schon nach der vierten, daß es über die Runden geht“. Hatte in den Runden neun und zwölf den Niederschlag, den die Festhalle ersehnte, zwar redlich vorbereitet, schließlich aber „nach der rechten den linken Haken nicht gebracht“.
Coach Jack Talhami arbeitet am Boxer, wie Kohl an der Illusion Michalczewski arbeitet, und daran, den Ruf der Nummer zwo hinter Konkurrent Sauerland loszuwerden. Sein Mann soll Sauerland- Mann umhauen. Und ihm, der sich bei Anspielungen auf sein Frittenbuden-Imperium denunziert sieht, der Kranz des Siegers umgehängt werden. Treiben ihn Welteroberungsphantasien? Sein Boxunternehmen heißt Universum. Im Firmenemblem drücken rote Boxhandschuhe die Welt zusammen.
Es geht nicht ums Niveau
Aber ehrlich: Im Vergleich mit dem Unternehmen Maske sieht sein Mann Dariusz Michalczewski bisher blaß aus. Der Junge aus Danzig ist zwar ähnlich aufregend wie Henry Maske, doch kann er nicht plaudern und neigt dazu, nichts zu sagen oder zuviel. Wiederholt hat Kohl das für den Ticketverkauf zuständige Unternehmen für die halbleere Halle verantwortlich gemacht (etwa 6.500 kamen). Keinesfalls etwa die erneut nicht unumstrittene boxerische Qualität des Geschehens.
Es geht nicht ums Niveau. Das ist gewerbebedingt: Übrigens schlug sich auch das Publikum mit Lust, weshalb auf den besseren Plätzen wegen Massenschlägerei nahezu die gesamte siebente Runde verpaßt wurde. Doch auch auf diesem Niveau gibt es Qualität, und da hapert es, angefangen vom Programmheft bis zu den Ritenparodien, den Opferungsklängen. Siehe: Das Publikum verzichtete darauf, den Herausforderer ordentlich zu schmähen, zu hassen, es nahm ihn offenbar gar nicht ernst. Die wirklich gemeinen Gefühle kommen so natürlich nicht auf. Dafür, mag Kohl sagen, was er will, braucht er den richtigen Kampf. „Wir sind unseren Weg gegangen“, sagt er, „aber.“ Aber was? „In Deutschland hat man zwei Weltmeister.“ Und folglich „das Recht zu wissen, wer der Bessere ist“. Das, wir verstehen, ist sozusagen eine Frage der Ehre.
Wer ist der Bessere?
Doch dazu muß zunächst geklärt werden, wer der andere, der IBF- Weltmeister ist. Im Moment Henry Maske. Doch nächsten Samstag auch noch? „Ich drücke Graciano die Daumen“, sagt Kohl. Muß er. Der bedingungslose Materialist Rocchigiani würde sich einem Kampf bei entsprechenden Argumenten kaum verschließen.
Man wird sehen. Michalczewski wird erst mal „Heimaturlaub“ (premiere-Boxchef Bönte) in Danzig machen, dann wird mit dem Sender über die vom Boxer vorgetragene Vermarktungskritik geredet. Man muß den Markt sondieren. Immerhin hat der Weltmeister sich als frischgebackener Zwölfrunder Werbeinseln- und also Sat.1-kompatibel erwiesen. Am 16. Dezember in München geht es aber erst mal im bewährten Trott weiter. Kohl wird sich, wie stets, nach einem „passenden Gegner“ umsehen.
Aber dann, und dann? „Mein Ziel sind zwei Titel, am besten vier“, sagt Dariusz Michalczewski. Mit 27 ist er der jüngste der vier Halbschwergewichtstitelträger, doch seine Redegeschwindigkeit kündet davon, daß auch er keine Zeit zu verschenken hat. „Wir müssen einfach diesen Kampf machen“, sagt er, „es wäre das größte Spektakel, das es in Deutschland je gegeben hat.“
Das ist schlüssig argumentiert, und so ahnt mancher, daß es also demnächst so kommen wird. Man hätte sich einbilden können, schon so etwas wie Vorfreude in den Gesichtern der Jakob Sisters aufleuchten zu sehen, als es vorbei war, und sie fröhlich krähend zum Ausgang tigerten.
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