■ Standbild: Total einfache Menschen
„Kaffeeklatsch“ und „Hera Lind & Leute“, Samstag 15.30 und 16.00 Uhr, ZDF
Zu meinen schlimmsten Kindheitserlebnissen gehörte das Kaffeetrinken im Familienkreis. Umringt von dicken Tanten, die, Tortenkrümel spuckend, tratschten, wollte ich nur eins: raus und spielen. (Kann ich dich vielleicht kennenlernen, mir ging es genauso? die säzzerin. Soll ich Euch beide mal bei mir zum Kaffee einladen? die redin.)
Zunächst an 13 Samstagen zeigt das ZDF nun auch Verwandtenlosen, welche Hölle sich hinter dem harmlosen Wort „Kaffeeklatsch“ verbirgt. Sie sind wieder da, die Perlenkettenzombies von damals: mit hochtoupierten Haaren und knisterndem Lurexpulli. „Ganz normale Hausfrauen mit Charme und Humor“ halt. So war denn auch die erste Runde Mittvierzigerinnen von erschreckender Authentizität: eben noch an der Aldi- Kasse, jetzt schon im ZDF-Studio. Wie Christel, Anna und Elfriede mit rheinischem Dialekt und stark reduziertem Wortschatz die Yellow press durchhechelten, war Reality-TV at it's best: „Die Frau von O.J. Simpson gibt's ja auch nicht mehr.“
Stimmt. Leider aber Ralph Morgenstern am Kopf der Tafel: Wie ein Fremdkörper saß er stocksteif inmitten der vulgären Heiserkeit und trug mit seinem falschen Lachen zur Erkenntnis bei, daß Kaffeeklatsch die Steigerung von Stammtisch ist.
Gut, daß das ZDF die Therapie zum Proleten-Geplauder gleich mitlieferte. War „Kaffeeklatsch“ sozusagen das deftige Innere des Talk-Doppel-Whoppers, folgte das Softbrötchen in Form von „Hera Lind & Leute“. Dort gab's Transfairkaffee statt Tchibo. Keine schrillen Absurditäten, sondern Alltägliches wollte man zum Thema machen, und so fragte Hera Lind: „Wird frau als Mutter ein(e) andere(r) Mensch(in)?“ Eine topkorrekte Frage, auf die total einfache Menschen in leisem Tonfall nach Antworten rangen. Ein bedächtiges Arrangement aus gekämmter Schurwolle, gefalteten Händen und einer Moderatorin, die als weichgespülte Lea Rosh einen Duft von Timotei verströmte. Dabei hatten die netten Kollegen von der Programm- Promotion sie zuvor zum intellektuellen Pendant von Ilona Christen verbrämt. Schließlich hat Hera Lind Abitur und sogar schon ein Buch geschrieben.
„Hera Lind hatte schon einen Namen, bevor sie zum Fernsehen ging“, behauptet das ZDF denn auch. Kann sein, daß sie ohne wieder geht. Oliver Gehrs
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen