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Undankbare Einheitsgewinner

Die CDU hat bei den Wahlen im Ostteil wenig Chancen, will sie aber nutzen. Persönlichkeitsdefizit wird mit Polit-Tourismus kompensiert  ■ Von Gunnar Leue

Als die CDU Anfang Mai ihren Kandidaten die „Werbelinie“ für den Wahlkampf zur Abgeordnetenhauswahl am 22. Oktober präsentierte, vergaß sie auch ihre größte Sorgenregion in der Stadt nicht. „Jonny aus Marzahn“, der Stelzenmann, dürfte für etwas beschwingte Stimmung sorgen. In dem Neubaubezirk selbst ist für die Christdemokraten allerdings Schluß mit lustig. Wie in ganz Ostberlin, vor allem aber in den Plattenbauvierteln, wo die CDU nicht viel mehr als eine Splitterpartei ist. Keine 20 Prozent errang sie bei der Bundestagswahl 1994 im Osten, wo die PDS sich ihre Direktmandate holte. Bei den Kommunalwahlen 1992 sah es mit knapp 15 Prozent noch schlimmer aus.

Weil das so ist und wenig Aussicht auf Besserung besteht, konzentriert sich die westdominierte Landes-CDU auch auf den Wählerfang im angestammten Heimatrevier. Da vor allem will sie die kommende Wahl gewinnen. Für Westberlin vermelden letzte Umfragen fast 52 Prozent für die Christdemokraten; im Ostteil dürfen sie nur 23 Prozent erwarten.

Das Dilemma ist nämlich, daß die durch die Einheit bevorteilten Ostler der Union den gebührenden Dank verweigern. Gerade in den „tiefroten“ Neubaubezirken leben zwar die bestausgebildeten und -verdienenden Ostberliner (die beim Einkommen längst Kreuzberg oder Wedding abgehängt haben), und trotzdem kriegt die CDU nur selten ihre Stimmen. Was den Strategen aus dem Westteil natürlich irgendwo schleierhaft ist.

Weniger Helmut Geppe von der CDU-Fraktion im Hellersdorfer Bezirksparlament. Er glaubt, die Unionspartei sei für die (durchschnittlich 29 Jahre jungen) Hellersdorfer einfach zu unattraktiv. Nicht zuletzt, weil es die Partei versäumt habe, „stärker soziale Werte zu vermitteln“ und auch Helfer in der konkreten Not zu spielen. Gerade darin liegt jedoch die Stärke der PDS, die häufig Kiezfeste organisiert und besonders die Sorgen der Mieter thematisiert. Der junge CDUler Geppe erkennt aber noch ein mentales Problem: Seine Parteifreunde aus der alten Frontstadt Westberlin glaubten immer noch, alle PDS-Wähler seien Kommunisten. Die von CDU-Wahlkampfmanager Radunski verschärfte Wahlplakatkampagne („Mit Rot/ Grün und Kommunisten riskieren Sie die Zukunft“) bestätigt in der Tat die traditionellen Vorstellungen.

Nur, in den östlichen (CDU- Sperr-)Gebieten schindet man damit keinen Eindruck. Um so irritierter sind die westlichen Unionschristen, wenn die eigenen Parteifreunde zur PDS keine erbitterte persönliche Feindschaft pflegen. Wie anders die Verhältnisse im Osten sind, läßt sich schon an der „Politikkarriere“ Geppes ersehen. Bevor der zur CDU stieß, war er Fraktionschef der Hellersdorfer Bürgerliste Grüne/AL. Jetzt managt er für den CDU-Spitzenkandidaten in Hellersdorf, Finanzsenator Elmar Pieroth, den Wahlkampf.

Der bekommt als Unternehmer-Protagonist das Ost-Dilemma seiner Partei hautnah zu spüren. Es fehlt am Mittelstand, der im Westen den typischen Wähler-Unterbau für die Union bildet. So gab es im Herbst 1994 im 135.000-Einwohner-Bezirk Hellersdorf gerade mal 6.900 Gewerbeanmeldungen (davon nur ein Sechstel Produktion und Handwerk), die zur Hälfte nur Einpersonen- oder Familienfirmen repräsentieren. Die Bewohner in den Satellitenstädten pendeln vorzugsweise in andere Bezirke zur Arbeit, viele in den Westteil. Von da bringen sie zwar häufig gutes Geld, aber nicht die dort mehrheitstypischen politischen Überzeugungen mit nach Hause in die Platte.

Die PDS hat es als Hausherr in den östlichen Neubauten auch sonst nicht sehr schwer mit der CDU, weil die sich in den letzten Jahren gern in Flügelkämpfen selbst lähmte. Häufig zankten sich die alten SED-Blockflöten mit den Unbelasteten, die sich aber z.B. in Hellersdorf teilweise als rechtslastige Nachwuchskader aus der Jungen Union entpuppten. In Marzahn servierten die Unionschristen sogar ihren Bürgermeisterkandidaten von 1992 dermaßen ab, daß er nirgendwo mehr einen Listenplatz bekam. Was schon einiges heißen will, denn allzu viele Bewerber gibt es nicht, angesichts von nur 140 Marzahner Parteimitgliedern (in ganz Ostberlin sind es um die 2.000). Entsprechend sind für die Ost-CDUler in der Partei natürlich auch höhere Posten Mangelware. Gesundheitssenator Peter Luther ist der einzige christdemokratische Ostler in Diepgens Regierungstruppe.

Das Persönlichkeitsdefizit versucht die Union mit viel Wahlkampf-Tourismus zu kompensieren. Haufenweise Bundesminister reisen in die CDU-Diaspora. Töpfer war schon da, Blüm, auch Heiner Geißler – je weiter „links“ und untypischer für den CDU-Mainstream, desto besser. Die Parteifreunde vor Ort mögen sich über soviel Aufmerksamkeit freuen, über ihren geringen Einfluß in der Gesamtpartei machen sie sich keine Illusionen.

Dafür scheinen sie aber ihren Stil gefunden zu haben. Der lautet nach alter Devise der Nationalen Front, dem DDR-Wahlbündnis der Parteien und Massenorganisationen: Zusammenarbeit zum Wohle des Bezirks. So hebt der CDU-Fraktionschef in der Marzahner BVV, Christian Klahr („Ich bin eine Altlast“), den eigenständigen Wahlkampfslogan „Wir für Marzahn“ hervor. „Wir“ stehe dabei für die Marzahner und die hiesige CDU. Und „unser Hauptziel hier“ heißt „Sicherheit“ – bei Wohnungen, bei Arbeitsplätzen, auf den Straßen. Auf den Einwand, daß das mehr oder weniger alle Parteien genauso wollten, sagt Klahr offen: „Ich finde es schon irgendwo angenehm, wenn ich Wahlprogramme lese, in denen es vor allem darum geht, für diesen Bezirk etwas zu tun. Ich sehe keinen tiefen Sinn darin, daß wir in unterschiedlichen Positionen an diesem Bezirk rumfummeln, bis er nicht mehr zu gebrauchen ist.“ Allerdings will er das Rumfummeln für den Aufschwung, „im Unterschied zur PDS“, nicht aus der Opposition heraus machen. Die Christdemokraten wollen „Verantwortung übernehmen“. Und als wäre der Wahlsieg nahe, fügt der 52jährige Lokalpolitiker noch einmal hinzu: „Wir können mit allen, die etwas für den Bezirk tun wollen und über parteilpolitische Schatten springen können.“ Ein Beispiel für solche Sprünge hatte er auch parat: Die PDS unterstützte kürzlich einen CDU-Antrag zur Errichtung eines privaten Hallen- und Freibades in Marzahn. Die knallharte Auseinandersetzung mit anderen Parteien will Klahr erst dann ganz konkret angehen, wenn die nichts für Marzahn tun. „Sonst machen wir die anderen doch nur interessant.“ So umschifft man auch das Problem, daß die geforderte Einheitlichkeit und Strenge der CDU- Wahlaussagen eine Berücksichtigung der spezifischen Ost-Probleme schwer zuläßt. Aber als Provokation findet Ost-CDUler Klahr die Plakate mit der Rot-Grün-Verteufelung in Ordnung. Ansonsten zeigt er viel Mitleid mit den Wessis: „Die haben jetzt ja mehr Probleme im Westteil als wir.“

Allzu laut sagen darf er das bei seinen Mitbürgern aber nicht, sonst kann er seine Hoffnung auf Stimmenzuwachs von Nichtwählern und Ex-Sympathisanten der geschwächten SPD gleich begraben. Die Gratwanderung, möglichst gleichzeitig Einheitseuphoriker und ostverwurzelte Basistruppe zu sein, würde das auch kaum erleichtern.

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