: Kein klösterlicher Verzicht
■ Edinburgh, Athen und Lille erkunden in Bremen car-sharing und autofreies Wohnen
Das Modell „Autofreies Wohnen im Hollerland“ kommt nicht richtig in die Gänge - doch schon gibt es potentielle Nachahmer der Idee. Der schottischen Hauptstadt Edinburgh dient, obwohl über das Planungsstadium nicht hinausgekommen, das vieldiskutierte GEWOBA-Prestige-Projekt als Vorbild. Im Westen der britischen Metropole soll noch in diesem Jahrtausend eine „car free residential area“ entstehen. Martin Henderson, im „Regional Transportation Department“ mit der Planung betraut: „Bremen ist ein gutes Beispiel dafür, wie man die Einstellung der Bürger zum Auto verändern kann.“
Gemeinsam mit KollegInnen aus Athen, Birmingham, Nottingham, Helsinki, Kopenhagen, Lille und Reykjavik betreibt Martin Henderson vor Ort derzeit Feldstudien. 54 europäische Städte haben sich auf Initiative der EG-Generaldirektion Umweltschutz 1994 zum Netzwerk „Carfree Cities“ zusammengeschlossen. Dessen Arbeitsgruppe „Praktische Alternativen zum Auto“ tagt auf Einladung des Senators für Umweltschutz derzeit in Bremen.
Als verbissene Autofeinde wollen sich die Tagungsteilnehmer allerdings nicht verhöhnen lassen. „Wir predigen“, meint Michael Glotz-Richter, Stadtökologiereferent und Leiter des Arbeitskreises, „keinesfalls eine klösterliche Verzichtshaltung“. Vielmehr reden sie einem vernünftigem Umgang mit der Blechkiste das Wort, wollen „praktische Alternativen zum Besitz und Nutzen von Autos“ entwickeln.
Derzeit beobachten die Netzwerkler die Entwicklung des car sharing-Systems, das in Bremen von „Stadtauto“ vertreten wird. „Für jedes Stadtauto“, freut sich deren Sprecher Joachim Schwarz, „kommen fünf oder noch mehr Autos von der Straße.“ „Stadtautos“ ermöglichen bisher allein in den Niederlanden, Österreich, der Schweiz und der Bundesrepublik den Einstieg in den Ausstieg. Doch die Idee, der in Bremen bisher 750 Bürger frönen, soll mithilfe des Dachverbandes „european car-sharing“ (ecs) weitergetragen werden. Besonders neugierig sind derzeit britische Kommunen. Martin Henderson: „Für müssen die Menschen davon überzeugen, daß sie ruhig Autos benutzen können, aber sie nicht unbedingt besitzen müssen.“
Hendersons Optimismus, dem Prinzip des Auto-Teilens zu größerer Popularität verhelfen zu können, ist immens. Im Hinblick auf autofreies Wohnen scheint indes eher Skepsis angebracht: Vom Bremer Hollerland-Projekt gehen derzeit keinerlei Impulse aus. An die kostspieligen Reihenhäuser, mit denen die Wohnanlage gestartet werden soll, traut sich bisher niemand so recht ran. Ullrich Höft, GEWOBA-Abteilungsleiter für Stadterneuerung und -entwicklung: „Interessenten gibt es genug, aber es ist noch kein Kaufvertrag unterschrieben worden.“ Die Kluft zwischen denjenigen, die sich für das Projekt begeistern und denjenigen, die es sich auch leisten können, sei ziemlich groß: „Wer kein Eigenkapital hat, der streckt bei einer Summe von 380.000 Mark natürlich alle Viere von sich.“
Tatsachen, die auch Martin Henderson aus Edinburgh ein wenig Sorgen bereiten: „Da könnte sich rasch so etwas wie ein ökologisches Ghetto für Besserverdienende herausbilden.“ Aber alles Klagen hilft nichts: Realität in Bremen ist, daß vornehmlich Bürger mit dicker Brieftasche als potentielle Partipienten am Hollerland-Projekt in Frage kommen. Aber auch die müssen sich erstmal überzeugen lassen. Und wenn nicht? Ullrich Höft: „Noch gibt es kein Szenario. Erst einmal tun wir bis zum Ende des Jahres, was wir können. Und dann sehen wir weiter...“ -ich
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