piwik no script img

Schirm & ChiffreBomben heiß verkabelt

■ Prä-digitale Elite vs. „liebe Netters“. Wer ist der Unabomber? FBI und HotWired bitten um Mithilfe

Kulturelle Bewegungen größeren Ausmaßes, und seien sie noch so digital, brauchen ihre publizistischen Begleiter in der Welt gewichtiger, monatlich erscheinender Magazine. Advokatin der Digitalen Renaissance ist die amerikanische Wired.

Das offiziöse Organ aller Technophilen hat sich mit HotWired allerdings bald ein digitales, im Internet erscheinendes Schwesterchen zugelegt. HotWired (http://www.hotwired.com) ist vermutlich eine der meistgelesenen Publikationen im Netz. Über 200.000 Abonnenten in Tokio, Paris, New York und Berlin steuern sie regelmäßig an.

Im Wired-Universum finden seit einiger Zeit fundamentale Debatten mit den Vertretern einer frischformierten, intellektuellen Bewegung statt, die den technischen Fortschritt gerne stoppen und rückgängig machen würden. Die „Neo-Ludditen“ wurden nach einer revolutionären Bewegung im frühindustriellen England benannt, die sich militant gegen die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen und -traditionen durch die Maschinen wandten.

Der Kulturkampf zwischen Technophilen und -phoben hat eine neue Qualität erreicht, seit Washington Post und New York Times das antiindustrielle Manifest des „Unabomber“ in voller Länge abdruckten. Der Unabomber hat seit 1978 drei Menschen durch selbstgebastelte Bomben getötet und 23 weitere verletzt.

Vermutlich ist der FC (wahlweise zu lesen als „Freedom Club“ oder „Fuck Computers“), der die Bekennerschreiben abschickte, eine intellektuelle Ein- Mann-Splittergruppe im Netz rechter Anarchisten und Milizen. Wenn die renommierten Blätter sein 35.000 Worte umfassendes Machwerk drucken würden, würde das Morden ein Ende haben, hatte „Unabomber“ verlauten lassen.

Für HotWired gehören seitdem die alte, prä-digitale Medienelite und der „Unabomber“ wenigstens in einer Hinsicht der gleichen Partei an: der von gestern. Am meisten empört die Tatsache, daß der Unabomber seine zynische Strategie im Text offen dargelegt hat und Times und Post – gedrängt vom FBI – die Logik des Unabombers durch den Abdruck bestätigten: Wer gehört werden will, so der Bombenbastler, muß schon ein paar Leute umbringen.

Penthouse-Herausgeber Guccione bot dem Unabomber gleich eine monatliche Kolumne in seinem Blatt an, mit dem Hinweis, seine Auflage sei so hoch wie die von Washington Post und New York Times zusammen. Diese Resozialisierungsmaßnahme hätte die Popularität des Unabombers noch erhöht, von dem der notorische Mann auf der Straße sagt, im Prinzip habe er ja recht, wie HotWired in einer kleinen Umfrage feststellte.

Auch in HotWired kann das Manifest „Industrial Society and its Future“ jetzt gelesen werden. Die HotWired-Leute zeigten sich befriedigt, daß der Text mittels einer der avanciertesten Technologien der verhaßten Industriegesellschaft, dem Internet, veröffentlicht wurde. Nicht, um den Unabomber zu besänftigen, sondern ihn aufgrund der Wortwahl und Argumentation mit Hilfe der Netzcommunity leichter zu fassen.

Das FBI ist offenbar der gleichen Ansicht und hat auf seiner Homepage (http://www.fbi.gov) ein Persönlichkeitsprofil und ein Phantombild des Bombenlegers veröffentlicht. Gleichzeitig bat Special Agent William Tafoya die „lieben Netters“ um Mithilfe.

Auch der bekennende Neo- Luddit Kirkpatrick Sales trug zu den Ermittlungen bei, indem er dem Unabomber attestiert, in den Sozialwissenschaften gefangen zu sein (http://www.pathfinder.com). Trotzdem spreche aus den Worten des Unabombers die tiefe Wahrheit, daß das industriell-technologische System ein Desaster für die Menschheit sei.

Die Kollegen von HotWired vermelden ebenfalls Grundsätzliches zum Thema: Im Globalen Dorf sollte offensichtlich sein, wer ein Mörder ist. O.J. Simpson kann darüber nur lachen. Ulrich Gutmair

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen