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Den Dichtern ganz dicht auf den Versen

Sie reden, kochen, streiten und lesen: In der Oktoberakademie der Wiener Schule für Dichtung lernen Nachwuchsdichter von Schriftstellern, wie moderne Poesie funktioniert  ■ Aus Frankfurt Wolfgang Farkas

Jeder, der einem auf der Straße über den Weg läuft, könnte einer sein. In einer Großküche allerdings würde man einen Dichter kaum vermuten. Dabei hat im Kochtopf einmal alles angefangen.

In der Zubereitung von Speisen liege nämlich der Ursprung aller Künste, auch der Dichtkunst, behauptet der Professor. Der stämmige Peter Kubelka läßt in der riesigen Küche der Frankfurter Städelschule die Gasflamme zischen; erhitzt Butter – „Sehen Sie, die Verbindung von verdichteter Muttermilch und domestiziertem Feuer, das ist schon die erste Metapher!“ – und demonstriert, wie er als Koch zum Herrn über die Elemente wird. „Ich kommuniziere mit der Butter. Wenn es ihr gutgeht, brutzelt sie, so wie jetzt.“ Dann schneidet er Radicchio, haut ihn in die Pfanne und wartet. „Ich kann alles: Ich lasse es feucht werden und dampfen, und ich kann sogar das erzeugen“ – hebt den Deckel – „Wolken!“

Seine sieben Schüler, vor allem Frauen zwischen 25 und 50, haben weiße Schürzen umgebunden und folgen so andächtig wie amüsiert den Ausführungen des philosophischen Meisterkochs. Der durchgebratene Salat wird gekostet, er schmeckt. „Das Timing ist entscheidend. Wie in der Musik kommt es auf Zehntelsekunden an“, doziert der Mann mit den dreist hervorlugenden Schneidezähnen.

Einmal habe er sogar ein Gedicht gemacht, aber nur ein sehr kurzes: „Eine Reise, eine Speise.“ Denn in einer Speise könne sich das ganze eßbare Universum abbilden. Mit Raps könne man in die Toskana reisen, mit einem Schnitzel nach Wien. Aber die Kochkunst, die überlebenswichtig sei, gehe gerade als letzte aller handwerklichen Künste verloren. Nahrungsmittel, die „Du darfst“ oder „Ja!“ heißen, bildeten eine neue Kategorie metaphorischer Schweinerei, schimpft er. Darauf passe nur der französische Dichter Villon: „Man schla-ge ih-nen ih-re FRESSEN mit schwe-ren Schmie- de-häm-mern EIN“, und setzt leise nach: „So gehört das. Im übrigen: Man möge mir verzeihen.“

Die Klasse des österreichischen Filmavantgardisten und Frankfurter Hochschulprofessors Peter Kubelka ist vielleicht die ungewöhnlichste der diesjährigen Oktoberakademie der Wiener Schule für Dichtung (SfD). Aber auch in den anderen Kursen wird schnell deutlich, daß der Literaturbegriff der SfD weit gefaßt ist. So unterrichtet Gerhard Rühm visuelle Poesie, der Stimmkünstler Jaap Blonk lehrt Lautsprache, die amerikanische Dichterin Anne Waldman gibt ihr Wissen über Cut-up-Techniken, Collage und freie Assoziation weiter. Dozenten wie Ferdinand Schmatz oder H. C. Artmann führen in die Basisarbeit ein.

Die Frage ist nur, ob dabei Literatur herauskommen kann. Genügt es, für zwei Wochen nach Frankfurt zu ziehen, zweihundert Mark für einen Kurs zu bezahlen und ein paar Gedichte geschrieben zu haben? Geht das überhaupt: Dichten lernen? Selbst in einer Schule für Dichtung sitzt man in gewöhnlichen Klassenzimmern; es gibt eine Tafel; man muß pünktlich sein; aber es darf geraucht werden, und man sieht seine Lehrer auch abends, vor größerem Publikum.

Die Geschichten, die man sich hier erzählt, handeln zunächst von ganz praktischen Problemen mit der Schriftstellerei. Einer soll sein angeblich bestes Manuskript irgendwo in der Wüste verloren und seitdem eine Schreibkrise haben. Ein anderer, der bei der Schule für Dichtung anrufen wollte, erhielt von der Auskunft die Nummer einer Schule für Dichtungstechnik; und keiner weiß, ob sich der Emporkömmling nun für Hydraulik oder Lyrik entschieden hat.

Dichten ist hart. Und immer wieder entdecken Schreiber mit Schrecken, daß es ihre liebsten Ideen schon einmal gab. Und bei den Dozenten der SfD herrscht zumindest Einigkeit darüber, daß es etwas Neues oder doch nichts Herkömmliches sein muß, wenn es denn gut sein soll. Ein Rundgang in der diesjährigen Akademie zeigt, wie mühsam das Ringen um Form und Inhalt sein kann – und wie spielerisch.

Klasse Ferdinand Schmatz, „Dichterische Praxis“. Es ist viel von Baudelaire, Mallarme und Artaud die Rede. „Kollegen“, sagt der Dichter und Essayist Schmatz, „Sie dürfen nicht zuviel erwarten.“ Wenn er es schaffe, die Schreiblust zu festigen, sei schon viel erreicht. Er erzählt, wie es bei ihm anfing. Mit dem Ungenügen: Eine Liebe wird nicht erwidert, also schreibt man ein Gedicht. Heute sei ihm die Sprache wichtiger geworden als das Ich. „Mein Ideal: So dichten, wie es im Körper fließt.“

Eine, die in der Schmatz-Klasse zwar nicht ihren ersten Text, aber ihr erstes Gedicht überhaupt geschrieben hat, ist die 42jährige Frankfurterin Eva Kaiser, eine Frau, die oft abwesend wirkt. Als die ehemalige Sekretärin beim Hessischen Rundfunk vor einigen Jahren leseblind wurde, mußte sie sich entscheiden: aufhören mit dem Schreiben – oder auf Bänder sprechen. „Ich mußte weitermachen“, sagt sie. „Es spricht und tanzt ständig in mir, ich muß das alles rausknallen und dann den ganzen Wust in eine Form bringen.“ Dozent Schmatz findet ihr erstes Gedicht gut; es endet so: „...über die Köpfe geh / die keine Zungen- / Viehschnauzen / haben sagt sie hat gesagt / sich versagt mit der Zunge / ohne den Kopf.“

Klasse H. C. Artmann, „Basisarbeit“. Hier lauscht man bedächtig einem 74jährigen Mann mit Heldenstatus, aber es geht auch hart zur Sache. „Hat jemand was?“ Ein selbstbewußter Poet, Mitte dreißig, reicht sein Werk nach vorne, Artmann liest es rasch und gibt es kommentarlos zurück: „Gelegenheitsgedicht.“ Ein Satz muß nicht nur gut klingen, sondern auch gut aussehen, sagt Artmann, am besten wie eine Perlenkette – deshalb Kleinschreibung. In einem Gedicht von Robert Sedlak gefallen ihm die Wortschöpfungen. „Schöntlitz“ oder auch das Wort „Unterselbst – sowas hätte noch keiner geschrieben. „Aber der ,rote Smaragd‘ ist zu abgedroschen. Ich habe früher auch so Sachen wie „die rote Aloe“ geschrieben, aber ich wußte nicht einmal, ob das eine Pflanze oder ein Metall ist oder was.“

Nach dem letzten Artmann- Bonmot – „die besten Sachen entstehen, wenn ich mich vertippe“ – geht es dann zu wie im Kaffeehaus. Man parliert über Poeten, die noch keine Zeile geschrieben haben, über Reich-Ranicki, dem der Dichter höchst ungern auf der Buchmesse begegnen würde, und sein politisches Selbstverständnis: „Ich bin anarchisch, weil ich zum Beispiel Polizisten nicht leiden kann. Aber ich bin kein Anarchist, sondern weil ich aus ästhetischen Gründen keine Bomben werfe.“

Bei Jaap Blonk flüstern und kreischen die Stimmen einer von den Studenten gespielten Nachrichtenmaschine; mit der Amerikanerin Anne Waldman ist schon ein Spaziergang am Main Inspiration: „Macht es wie William Burroughs: Rausgehen, auf Zahlen, Farben, Gerüche, Werbung, Stimmen, alte Schilder achten, eine Zeitreise unternehmen und nachher alles notieren, was euch dazu einfällt. Und die Texte, die ihr schreibt, laut lesen. Push it!“

Der Lehrakt selbst soll ein Kunstakt sein, so wünscht es sich Christian Ide Hintze, der Direktor der SfD. Der 39jährige Schriftsteller glaubt, daß Dichter selbst – und nicht etwa Wissenschaftler – durchaus etwas von der Kunst der Poesie vermitteln können. Vom Begriff des Genies hält er nicht viel. „Das ist so ein romantisches Bild: Wenn du einsam bist, ein bißchen krank und sexuelle Probleme hast, bist du schon ein Künstler.“ Die Poesie sei vor allem Arbeit an sich selbst.

Hintze, der fünf Jahre auf der Straße gelebt und in den Fußgängerzonen Wiens und Berlins 1,6 Millionen poetische Zettel verteilt hat (ein Vers, seine Adresse und Telefonnummer), die ihm über 3.000 Briefe und Hunderte von Telefonaten einbrachten, schätzt an der Akademie besonders die Vielfalt der Kommunikation. „Das sind die Lehrgespräche, die Klassen, private Zirkel, und vielleicht auch mal ein Liebesakt.“

Mit dem Schaffensakt allerdings ist es nach zehn Tagen Dichterschule nicht so einfach. Einer der 72 Teilnehmer sitzt mit Stift und Schreibblock in der lichtdurchfluteten Kantine – doch dem eher scheuen Poeten fällt nichts ein. Daß man indes selbst dann haltbare Verse schmieden kann, beweist der ebenfalls der Schule verbundene, wenn auch nicht lehrende Ernst Jandl: „hier liegt / ein gelegtes gedicht, darüber / brütet ein / dichter vielleicht / vielleicht noch lange.“

In Kubelkas Dichterkochkurs nun werden keine Gedichte gelegt, sondern Eier interpretiert: in der Kleinmarkthalle Frankfurt, oder, wie Kubelka sagt, „die Stufe zwischen unbearbeiteter Natur und dem Paradies Wirtshaus.“ Die Natur lege der Henne ein Ei in den Hintern, um neue Hühner entstehen zu lassen. Der Mensch aber greife in diesen Prozeß schöpferisch ein: „Das Eigelb, in unserem Fall das Gute, kommt in die Schüssel, das Eiklar, also das Böse, kommt in die Hölle – das ist die Analyse.“ Zum ungeborenen Huhn komme nun ein ungeborener Olivenbaum, also Öl, außerdem Salz, also Meer: Mayonnaise.

Die Dichterschar begibt sich zum Wurststand, wo sie testen wird, wie heiße Gelbwurst mit und ohne Haut schmeckt. „Mit Haut, das knackt ganz anders“, sagt Kubelka, beißt hinein: „KRAK!“, und fährt fort: „Geben wir noch Senf dazu, entsteht ein absolut künstliches und zugleich künstlerisches Werk, etwas, das es in der Natur nicht gibt.“ Auch die Nachwuchsdichter stippen Wurst in Senf, vergessen für einen Moment jede Debatte über Inhalt und Form und haben ihre Metaphern in kürzester Zeit aufgegessen.

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