: Große Ideen verlangen eben hie und da ein Opfer
■ Wie teuer auch immer: Die Tunnel-Milliarden werden an anderer Stelle fehlen
Wie viele Milliarden Mark unter Berlins Tiergarten vergraben werden, darüber gibt es unterschiedlichste Auskünfte. Erst war von 4,5 Mrd. Mark die Rede, Ende September kündigte Verkehrsstaatssekretär Johannes Nitsch im Bundestag einen Finanzbedarf von 5,2 Mrd. Mark an. Der Sprecher seines Ministeriums kam in den letzten Tagen wieder zu einer einige hundert Millionen billigeren Variante. Auch die geplante U- Bahn-Linie ist in den Prognosen des Berliner Senats auf wundersame Weise um ein Viertel billiger geworden. Gestrichen wurde bisher nur die S-Bahn-Linie 21 – aus Kostengründen und weil sie „überflüssig“ sei, so der Berliner Senat.
Tatsächlich geht wohl niemand davon aus, daß die größte Baustelle Deutschlands für den einen oder anderen Preis fertiggestellt werden kann. Gerade in Berlin haben öffentliche Bauvorhaben die Tendenz, am Schluß ein Vielfaches des veranschlagten Preises zu kosten. Klar ist in jedem Fall, daß die Milliarden woanders fehlen werden. Auf Druck des Senats wurden U-Bahn-Linie und Straßentunnel in den Hauptstadtvertrag aufgenommen, woraufhin der Bund seine einmaligen Zuschüsse für die Berliner S-Bahn von einer Milliarde auf 350 Millionen kürzte. In den Berliner Bezirken ist man sauer über diese Entscheidung.
Auch bei der Bahn muß an anderer Stelle gespart werden, zumal der Haushalt des Bonner Verkehrsministers um 4,4 Prozent schrumpfen wird, was Matthias Wissmann vor allem auf Kosten des Schienenausbaus umsetzen will. Der Sprecher des Verkehrsministeriums, Schneiders, bestreitet zwar, daß bereits konkrete Projekte für den Tiergartentunnel geopfert wurden. „Darüber entscheiden wir erst nach der Verabschiedung des Haushalts im November.“ Der Berliner Bündnisgrüne Michael Cramer aber sieht schon jetzt einen Zusammenhang zwischen dem Projekt und der Verzögerung des Ausbaus Berlin–Hannover sowie der Streichung der Strecke Lübeck–Stralsund.
Ob sich der Eisenbahntunnel unterm Tiergarten, der zusammen mit dem Lehrter Stadtbahnhof gegenwärtig auf 3,3 Milliarden veranschlagt wird, je für die Bahn rechnen wird, bezweifeln KritikerInnen. Schließlich muß die Bahn die Baukosten nach der Fertigstellung beim Bund abstottern – wenn auch ohne Zinsen und über einen langen Zeitraum verteilt. Die Bahn geht jedoch von einer Wirtschaftlichkeit des Projekts aus. Nachdem hinter vorgehaltener Hand von mehreren negativen Gutachten die Rede war, präsentierte sie vor kurzem das Untersuchungsergebnis des Büros HaKon aus Hannover, das einen Kosten-Nutzen-Faktor von mindestens 1,7 für den gesamten Bahnknoten Berlin annimmt. Jede investierte Mark werde am Ende zu einer Einnahme von 1,70 Mark führen.
Eine spezielle Untersuchung für den Tiergartentunnel gibt es allerdings nicht. Und auch die Trassenpreise, die in die Wirtschaftlichkeitsrechnung mit eingegangen sind, will die Koordinatorin der Bahn für den Lehrter Stadtbahnhof, Ulrike Seidenfaden, nicht preisgeben. „Sie können aber sicher sein, daß Bonn so vorsichtig mit Steuern umgeht, daß nichts vergeudet wird.“ Annette Jensen
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