: Nichts wird so sein, wie es vorher einmal war
In der Stunde des Siegers müssen Henry Maske und sein Gefolge den Honeymoon endgültig beenden ■ Aus München Peter Unfried
Zweimal explodierte das Licht. Tausend kleine Taschenlampen schrieben dreist, als sei nichts gewesen, ich lieb' dich in den Hallenhimmel. Es war dies, laut Gebrauchsanweisung, die Stunde des Siegers. Jene kommt nach der Tat und ist bekanntlich seit Urzeiten stets die Stunde des Redens. Aufgeregt hörte man es also flüstern: „Henry spricht.“ Es wurde ganz still, um die vielen inhaltsfreien, aber schönen Worte fallen zu hören. Und Henry sprach.
„Gerade heute“, sagte Henry Maske, „sollte man nicht viele Worte fallen lassen.“ Und er sprach: „Trotz der großen Last hat's irgendwo trotzdem noch Spaß gemacht.“ Und er sprach: „Dafür seid ihr verantwortlich.“ Schlüsselworte: Last; irgendwo; ihr verantwortlich. Erwägen wir folgende Deutung: Vom vagen Irgendwo zum Nirgendwo ist's niemals weit, und dann meint „verantwortlich“ präziser „schuldig“. Und selbst wer das allzu weit hergeholt findet, hat doch in der Olympiahalle sehen dürfen, daß der Honeymoon mit Henry unwiederbringlich vorbei ist. Nichts wird sein wie vorher.
Henry Maske (31) hat bei seiner achten Halbschwergewichts-Titelverteidigung (IBF) geboxt wie gegen die WM-Herausforderer eins bis sechs: systematisch, strategisch, effektiv, kalt. Und nie so wie einst im Mai, als ihn gegen Rocchigiani Gefühle in die Halbdistanz getrieben hatten. Gefühle, die er sich erlaubt hatte, und die er im Ring und danach bitter bezahlen mußte. Diesmal hat er, „was ich besser machen wollte, besser gemacht“. Klingt simpel, sah simpel aus: Der Weltmeister hielt Rocchigiani auf Distanz, traf regelmäßig und erlag nie der Versuchung, zu lange in dessen Reichweite zu verbringen. „Kontrollierte Arbeit“, nannte Maske das trefflich. Es war sein übliches Puzzle: Unspektakulär, bisweilen fast unbemerkt „kommt Stück für Stück wieder etwas dazu“. Ab Runde 6 war zu sehen, daß es in seinem Sinne aufgehen würde. Daß das vielleicht so schwierig nicht war, kann man inmitten des üblichen Jubilierens beim ehrlichen Manfred Wolke heraushören. Der Trainer sprach davon, Maske werde „erst im nächsten Kampf seine nackte Leistung zeigen“ müssen. Dennoch schmeichelt das Ergebnis (117:111, 116:112, 115:113) diesmal eher dem Verlierer. Der IBF-Delegierte Benedetto Montella hat jede Menge WM-Kämpfe überwacht, aber, sagte er, „ich war noch nie so unzufrieden mit meinen Leuten“. Der Italiener sah Maske, wie die meisten Experten am Ring, mit sieben Punkten vorn.
Aber was, Experten? Vorher hatte eine nicht unbeträchtliche Menge einander zugeraunt, Rocchigiani würde gewinnen, Maske sei ausgeboxt. Nun kann man eben das Gegenteil behaupten. Die einen vergessen schneller, die anderen langsamer. Aber Henry Maske vielleicht gar nicht. Eine Schramme hatte er am rechten Auge, nicht viel mehr, als er sich Sonntag früh wieder krawattet präsentierte. Kein Vergleich zum Hinkampf, der ihm wochenlang im Gesicht stand. Diesen Kampf wollte er nach offizieller Version tilgen, ungeschehen machen. Längst weiß er, daß es nicht funktioniert. Seinen üblichen Wechsel vom scheinbar emotionslosem Boxen zum semieuphorischen Danach hat er sich diesmal versagt.
Maske, so scheint es, hadert mit seiner Klientel, von der er auch in der Olympiahalle stets fürchten mußte, sie würde bei der geringsten Chance ihren Helden fallen sehen wollen. Vor allem hadert er mit den Leuten, die ihn in eine solche Situation gebracht haben. Wenn er denn nichts sagte, loswerden mußte er, daß „ich mich mit dem Motto ,Eine Frage der Ehre‘ nach wie vor nicht identifizieren kann“. Hat das etwas zu bedeuten? In der Stunde des größten Quotensieges (bis zu 19 Millionen TV-Zuschauer) griff der Abwehrstratege, der bis gestern fast alles mitgemacht hat, seinen Geldgeber und Erfinder RTL gar namentlich an. Nichts hat der nach Harmonie Strebende offenbar inzwischen mehr hassen gelernt als jenen völlig außerhalb seiner Kontrolle befindlichen kollektiven Mißbrauch, den Millionen mit ihm treiben, um jene Gefühle auszuleben, die ihm wesensfremd sind: Wut und Haß.
Doch gerade die neue Rekordquote wird ihm sagen müssen, daß es für ihn, wenn es denn wirklich zuviel sein sollte, nur einen Ausweg gibt. „Ich glaube“, sagt er aber, „ich habe nie vom Rücktritt gesprochen.“ Und hoppla: „Jemand, der das gehört hat“, sprach er streng zu den JournalistInnen, „soll aufstehen.“ Tat natürlich keiner. Eine Wahl hat er sowieso nicht: Die offizielle Pflichtverteidigung gegen den IBF-Ranglistenersten Duran Williams (USA) muß bis spätestens 3. Februar erledigt sein. Und „die Presse“, sagt er tadelnd, „fragt natürlich schon nach dem dritten Kampf“ gegen Rocchigiani. Eigentlich nicht, weil: Der Bringer ist das nun nicht mehr. Nach dem guten alten, olympischen Prinzip könnte wirtschaftlicher oder/und Spektakel-Fortschritt derzeit, wenn denn überhaupt, nur noch mit dem Gegenweltmeister Dariusz Michalczewski ereicht werden. Doch dazu, sagt Maske, „habe ich überhaupt keine Lust, mich zu äußern“. Wenn es denn tatsächlich noch dazu kommen sollte, müßte das Ganze aber zügig, spätestens im nächsten Jahr erledigt werden.
Doch selbst wenn: Es wird, das ist klar, kaum mehr sein als ein Epilog zu einer eigentlich erledigten Geschichte. Henry Maske macht nun Pause, denn die, sagt er, „habe ich bitter nötig“. Und wenn er wiederkehrt, so wünscht er sich, daß alles, was ihn quält, sich zurückverwandeln möge, „zu dem, was es ist: Sport“. Von Sport allerdings war nie die Rede, und morgen noch weniger als heute.
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