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Historischer Fausthieb

Besuch bei Gilberto Suárez Spencer, genannt Yani, dem Mann, der Fidel Castro einen Kinnhaken verpaßte  ■ Von Bert Hoffmann

Natürlich werden wir Yani besuchen.

Von Santiago de Cuba sind es gut zwei Stunden Fahrt bis Birán. Hier, im Osten Kubas, ist Fidel Castro geboren und aufgewachsen, auf der großen Hacienda seines Vaters. Touristen kommen nie hierher. Das junge Paar aus Birán, das wir an der Abzweigung von der Überlandstraße mitnehmen, freut sich, daß der alte Moskwitsch des kubanischen Freundes ihnen die zehn Kilometer Fußweg abnimmt. Und mit Begeisterung erklären sie dem seltenen Besuch, wen er in Birán auf jeden Fall treffen müsse, wenn er schon einen so weiten Weg bis zu Fidels Heimatort komme.

Unbedingt sehen müssen wir also: den Halbbruder Martin Castro, der Fidel so sehr ähnelt, hochgewachsen und hellhäutig, aber viel hagerer als der „Comandante en Jefe“, nie zu Amt und Würden gekommen, sondern Arbeiter in einem landwirtschaftlichen Staatsbetrieb. Und die drei „Haitianos“, wie sie hier nur genannt werden, hochbetagt, 78, 95 und 99 Jahre alt, die drei letzten noch lebenden jener Haitianer, die Vater Castro Anfang der zwanziger Jahre als billige Arbeitskräfte von der Nachbarinsel holte und die noch mit schwacher Stimme berichten können, wie Fidel geboren wurde und wie er denn als Kind so war. Und dann Yani. Natürlich müssen wir Yani besuchen. „Yani, der Mann, der Fidel einen Kinnhaken verpaßt hat!“ Mehr erfahren wir von ihnen nicht über Yani, dafür immer wieder diese eine Tat. Dieser Kinnhaken ist jetzt genau 50 Jahre her, ein halbes Jahrhundert. Aber der alte Yani ist noch immer vor allem dies: „der Mann, der Fidel einen Kinnhaken verpaßt hat“. So viel Identität war nie in einem einzigen Schlag.

Yani, der heißt mit richtigem Namen Gilberto Suárez Spencer; er ist Lehrer in Birán, unterrichtet Englisch, und er ist eine der Stützen des örtlichen Komitees zur Verteidigung der Revolution. Man sieht es schon von weitem, wenn man zu seinem Haus kommt. Eine große Stelltafel direkt vor dem Eingang ist geschmückt mit Revolutionsinsignien, Abzeichen, Wimpeln, Aufrufen zu Sauberkeit und revolutionärer Moral, Bildern von Che und Fidel sowie verschiedenen Artikeln aus der kubanischen Presse, die Yani besonders wertvoll erschienen, um mit den Mitteln seiner privaten Wandzeitung größere Verbreitung zu bekommen. Aus der letzten Bohemia ist eine Reportage über die großen Erfolge des kubanischen Boxsports dabei.

Die Tür ist verschlossen. Erst ein paar Stunden später, als wir bei Martin Castro sitzen und seine Tochter Josefa uns mit selbstproduziertem Wein bewirtet, kommt Yani vorbei, entschuldigt sich, daß er vorhin nicht zu Hause war, freut sich, daß es zur Feier des Tages Wein gibt, und noch mehr, als wir ihn bitten, seine Geschichte zu erzählen.

„Ja also, damals war Fidel 18, und er war schon ein mächtiger Kerl.“ Yanis Hände zeichnen eine Schulterpartie, die Arnold Schwarzenegger vor Scham in den Boden versinken lassen würde. „Er war damals schon in Havanna auf dem Colegio, aber in den Ferien kam Fidel ja immer zurück auf die Hacienda seines Vaters. Und einmal brachte er dann aus der Stadt Boxhandschuhe mit, so was hatte es hier natürlich noch nie gegeben. Und Fidel war ja eine Sportskanone! Jedenfalls wurde nun auf der Hacienda geboxt. Fidel organisierte das. Und alle mußten gegen ihn antreten. Und wißt ihr was? Fidel hat sie alle niedergemacht!“

Zur Illustration seiner Worte verpaßt Yani der Luft um sich einen harten rechten Haken. „Nur mich nicht“, sagt er, erstaunlich nüchtern und fast mehr listig als stolz. Yani war damals 24 und also immerhin sechs Jahre älter als Fidel. „Wir haben gekämpft, und ich habe ihm einen Kinnhaken verpaßt und gewonnen.“

Der kubanische Freund will wissen, ob Fidel denn nicht sofort Revanche gefordert hat. Wenn es einen immer wieder verbreiteten (und auch hier in Birán immer wieder bestätigten) Gemeinplatz über Fidel Castros Charakter gibt, dann den, daß er nicht verlieren kann. Yani nickt. „Doch, doch, natürlich, Fidel wollte immer wieder einen zweiten Kampf. Aber dazu ist es nie gekommen. Ich habe immer eine Ausrede gefunden, warum ich nicht konnte.“ Schmunzelnd fügt er hinzu: „Und dann mußte Fidel ja zurück nach Havanna. Wir haben nur ein einziges Mal gekämpft, und da habe ich gewonnen. Später dann, nach dem Triumph, ist Fidel noch einmal hierher gekommen“ – jetzt ist der Stolz in seiner Stimme nicht zu überhören –, „und er hat zu mir gesagt: ,Yani, jetzt brauchen wir nicht mehr gegeneinander zu kämpfen. Jetzt hat die Revolution gesiegt, jetzt sind wir alle Brüder.‘“

Der Kinnhaken gegen den Revolutionsführer ging also straffrei aus, was den kubanischen Freund schwer beeindruckt. Für Yani änderte sich durch diese Episode nicht viel, er lebte weiter in Birán und mit der Revolution, nur daß er fortan nicht „Yani, der Lehrer“ oder „Yani, der Lange“ war, sondern eben „Yani, der Mann, der Fidel einen Kinnhaken verpaßte“. Und er ist der einzige, der das in Kuba von sich behaupten kann.

Sehr spät erst machte ihn dieser Kinnhaken doch noch richtig prominent: 1991 war Yani als Ehrengast zum großen Kongreß der Jungen Pioniere in Havanna geladen, um diesen seine Geschichte zu erzählen. Und Yani läßt nun sogar den guten Wein der Castros stehen, um aus seinem Haus das große Foto zu holen, das man ihm als Andenken schenkte: Da sitzt er in seinem Sonntagsstaat, im rosa Hemd mit überbreitem, rotem Schlips, und schwingt seine Rede vor den Jungen Pionieren; im Hintergrund sieht man im T-Shirt Robertico Robaina stehen, damals noch Chef des Jugendverbandes und heute Außenminister Kubas; und links neben ihm sitzt Fidel, Fidel selbst, der „Comandante“, und väterlich lächelnd schaut er auf seinen Sparringspartner von damals und applaudiert ihm, applaudiert Yani vor den Fernsehschirmen, vor elf Millionen Kubanern, für den Kinnhaken, den dieser ihm einst verpaßt hat.

Aus: „Lateinamerika-Jahrbuch 19: Sport und Spiele“, siehe nebenstehende Rezension

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