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■ QuerspalteUmdenken im Sarg

„Die Wiege“, schreibt Vladimir Nabokov, „schwingt über einem Abgrund, und der Verstand sagt uns, daß unser Leben nur ein kurzer Lichtspalt zwischen zwei Ewigkeiten des Dunkels ist.“ Nun wird dieser Lichtspalt noch um einen Hauch dünner: „Die deutsche Sargindustrie blickt auf ein wirtschaftlich schwieriges Geschäftsjahr zurück.“ Das beklagt nicht irgendwer, sondern Heinz Kämmerling, der Vorsitzende des Bundesverbandes Sargindustrie e.V.

Die düsteren Töne entbehren nicht eines ernsten Hintergrunds. Denn mannigfach sind die Anfechtungen, denen die Tischler unseres letzten Gehäuses ausgesetzt sind. Ihr Umsatz sank wie ein Sarg in die Grube, und zwar um ein Prozent, wie auf der jetzt zu Ende gegangenen Jahrestagung bilanziert wurde. Wenn es nur an den Billigimporten „aus dem Ostblock“ (Kämmerling) läge! Nein, der Teufel hat mal wieder einen seiner Kreise gezogen. Alles Asche: Die Kommunen nämlich, so analysiert Kämmerling mutig, zwingen „die Kundschaft“ durch „unverhältnismäßig hohe Anhebungen der Friedhofsgebühren“ dazu, statt der Erd- die Feuerbestattung zu wählen. Jeder dritte Verstorbene werde bereits eingeäschert. Folgt logisch und pragmatisch, daß die Kundschaft „vermehrt preiswertere Särge nachfragte“.

Dramatische ökonomische Veränderungen, die dramatische ökologische Konsequenzen nach sich ziehen. Denn derartig viele Verbrennungen letzten Grades schaden – na, wem? Der Um- und somit der Nachwelt natürlich. Zu Recht mahnt Kämmerling an, daß „bei vielen Bürgern bei Bestattungen ein Umdenken in Richtung Umweltschutz nötig“ sei. Emissionsmessungen in Krematorien sprechen eine deutliche Sprache: Die Grenzwerte werden nicht eingehalten. Auf dem Sterbebett darf uns also jedes Bewußtsein schwinden, nur das Umweltbewußtsein nicht. Laßt uns berühmte letzte Worte sprechen: „Bitte begrabt mich in einem Sarg mit BVSI-Siegel!“ Nur die sind unbedenklich, was zu denken geben sollte. Dietrich zur Nedden

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